Diverse: Handbuch der Politik – Band 3 | |
|
Zwecke, die einzeln nicht erreichbar sind, können auch verbunden nicht mit Aussicht auf Erfolg verfolgt werden. Ein Strafmittel aber, welches nur einem Zweck und selbst diesem nur unvollkommen dient, auch nur auf einen eng beschränkten Personenkreis anwendbar ist, rechtfertigt nicht die Anwendung ausserordentlicher Mittel, die dadurch dem allgemeinen Kampfe gegen das Verbrechen entzogen werden.
III. Für die rechtliche Betrachtung ist der Zweck und die Entstehung der Schutzgewalt in den Kolonien erheblich. Soweit der Kolonialbesitz auf Schutzverträgen zwischen Häuptlingen einzelner Stämme und dem Reiche oder Kaufleuten beruht, die Rechtsvorgänger des Reichs sind, wäre die Benutzung des Schutzgebietes für eine Strafkolonie rechtswidrig, weil sie, angesichts der Unmöglichkeit, Entweichungen ganz zu verhüten, die Eingeborenen den rechtswidrigen Angriffen derer preisgeben würde, welche das Inland sich wegen der Wahrscheinlichkeit des Rückfalles vom Halse geschafft hat. Eine solche Einrichtung wäre gerade das Gegenteil des versprochenen Schutzes. Aber auch dann, wenn einzelne Stämme ihre Rechte durch Aufstand verwirkt haben, könnte die Verwirkung nicht so ausgelegt werden, dass sich die Schutzpflicht des Reichs in ihr Gegenteil verkehre und das Reich dazu berechtigt wäre, die Einwohner einer Landplage durch den Abschaum der inländischen Bevölkerung auszusetzen. Der vertragsmässigen Schutzpflicht ist das Reich durch den Aufstand nicht ledig geworden; nur die zugunsten der Eingeborenen vereinbarten Bedingungen, ihre besonderen Rechte sind verwirkt. In solchen Gebieten endlich, welche, wie die Karolinen, Palau und die Marianen, vom Reiche durch Vertrag mit einem Kulturstaat (Spanien 1899) erworben wurden und welche damit unter die volle Souveränität des Reichs getreten sind, bereitet doch der Zweck und die rechtliche Natur des Schutzverhältnisses der D. ein Hindernis. Die Schutzgewalt des Kaisers (Schutzgebietsges. § 1) schliesst allerdings sämtliche staatliche Hoheitsrechte in sich; das Reich kann in den Schutzgebieten alle Massregeln ergreifen, welche die Lösung der staatlichen Aufgaben mit sich bringt. Aber eine Grenze zieht der selbstgesetzte Zweck des Schutzes oder der Wohlfahrtspflege. Das Schutzgebiet hat nicht den Zweck, das Deutsche Reich gegen seine eigenen inneren Feinde, nämlich gegen verbrecherische, zum Rückfall neigende Elemente, zu schützen. Eine solche Auslegung des Wortes Schutzgebiet wäre der reine Hohn auf das Verhältnis zwischen Reich und Schutzgebiet. Diese Schwierigkeit liesse sich nur dadurch beseitigen, dass das Schutzgebiet, welches nicht in jeder Beziehung Inland ist, durch vollständige Einverleibung in das Reich seiner Schutzgebietseigenschaft entkleidet würde, eine Massregel, die nur erwähnt zu werden braucht, um der Verwerfung sicher zu sein.
Dazu kommt, dass auch die fremden Staaten, welche in der Nachbarschaft der deutschen Schutzgebiete Kolonien besitzen, wegen der erfahrungsmässig bestehenden Neigung der Deportierten zu Fluchtversuchen und der Unmöglichkeit, die Flucht schlechthin zu verhindern, sowie wegen des besonders gefährlichen Charakters solcher Leute die Einrichtung einer Strafkolonie als eine Gefährdung für die Ruhe in der eigenen Kolonie ansehen müssten. Für jeden rechtswidrigen Angriff eines aus dem deutschen Schutzgebiet entflohenen Deportierten wäre das Reich verantwortlich, weil es durch die Einrichtung der Verbrecherkolonie bewusst die Möglichkeit dazu geschaffen hat und weil seine Überwachungsorgane oder Überwachungsmassregeln versagt haben.
Hinsichtlich der zur D. Verurteilten selbst ist zu beachten, dass sie zwar die deutsche Staatsangehörigkeit behalten, aber das wichtigste damit verbundene Recht, das Recht des Aufenthaltes im Heimatsstaate und die Möglichkeit, politische Rechte im Heimatstaate auszuüben, dauernd, auch für die Zeit nach Erstehung der Strafe verlieren würden. Der Wirkung nach ist damit die Staatsangehörigkeit nahezu aufgehoben. Die Einführung der D. würde also auch die Schaffung einer neuen Straffolge bedeuten. Diese könnte man als unvermeidlich billigen, wenn die Hauptstrafe empfehlenswert wäre; aber man muss sich die Folge zum Bewusstsein bringen, weil diese die Eigenart der Strafe (oben II) mitbestimmt.
IV. Wirtschaftliche und soziologische Erwägungen greifen derart ineinander, dass sie nur verbunden gewürdigt werden können. Dabei ist von statistischen Grundlagen ganz abzusehen, weil weder die Voraussetzungen der Strafe feststehen und schon deshalb jede Berechnung der mutmasslichen Verbrecherziffer ausgeschlossen ist, noch ein bestimmter Ort ins
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/275&oldid=- (Version vom 14.9.2022)