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Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/263

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Rechtes der Selbsthilfe, des freien Gebrauches der eigenen Zwangsmittel). Da aber der Hauptzweck des Staates sei, Rechte zu schützen, so habe es keinen Sinn, sich solcher Rechte zu entäussern, zu deren Schutz eben der Staat errichtet wird. Diese Rechte müssen die Menschen sich vorbehalten, sie sind „unveräusserlich“, es sind die „Menschenrechte“, die im Staate als „Bürgerrechte“ beharren. Man will, dass sie auch für die Staatsgewalt unantastbar seien. In diesem Sinne lässt Montesquieu politische Freiheit (er meint bürgerliche) in der Sicherheit „oder wenigstens in der Meinung (dem Bewusstsein) der eigenen Sicherheit“ bestehen. Und in diesem Sinne gilt als eine Schutzwehr der bürgerlichen Freiheit gegen die Staatsübermacht die Teilung der Gewalten, namentlich die Trennung von Justiz und Verwaltung mit dem Übergewicht der Justiz durch Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die als Kriterium des „Rechtsstaates“ hingestellt wird (Gneist). Die allgemeinen Grundsätze, die aus dieser Idee für alle bürgerliche Freiheit abgeleitet werden, sind: 1. Ausschliessung jeder privaten Gewalt, jedes unautorisierten Zwanges, jeder persönlichen Willkür, oder: Verneinung jeder Art von Herrschaft einer Person über die andere, ausser der rechtmässigen Ausübung des Staatswillens, die durch das Gesetz gebunden ist, und das Gesetz ist nur rechtmässig, wenn es gemäss dem Verfassungsrecht entstanden ist. 2. Einschränkung des gesetzlichen Zwanges auf das unerlässlich notwendige Mass; Rechtsschutz gegen Missbrauch der Gewalt und gegen Überschreitung der Grenzen, innerhalb deren die Beamten des Staates ihre Macht geltend machen sollen und dürfen. – Besondere Bedeutung haben diese Grundsätze in Anwendung auf die Rechtspflege, zumal auf Strafprozess und Strafrecht. Sie wehren aller administrativen Justiz, und wollen auch die Gewalt, deren der Staat zur Verfolgung gesetzmässiger Justiz bedarf, soweit einschränken, dass die bürgerliche Freiheit sich damit vereinigen lasse. Daher die Forderung, dass jedermanns Haus „seine Burg“ sei, es dürfe nicht gewaltsam geöffnet, auf Person oder Habe kein Arrest gelegt werden, es sei denn, dass ein schweres Verbrechen vorliege, und auch dann müsse der Beamte den Haftbefehl vorweisen und bleibe verantwortlich für Überschreitung seiner Machtbefugnisse.[1] Überhaupt beziehen sich die Postulate der bürgerlichen Freiheit hauptsächlich auf den Prozess: Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens; Anklageprozess anstatt des Inquisitionsprozesses in Strafsachen; daher das Recht zu leugnen und das Recht auf ungehemmte Verteidigung, die auch für die Untersuchung in Anspruch genommen wird, gegebenen Falles amtlich zu bestellen ist; Regel, dass jeder für unschuldig zu erachten, bis seine Schuld erwiesen sei, und andere Normen zum Schutze des Verdächtigen, des Angeklagten, zur Entschädigung der ohne Grund Verhafteten oder sogar unschuldig Verurteilten. Dahin gehört endlich ein Stück politischer Freiheit: die Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung, also die Forderung der Jury, insbesondere in politischen Prozessen, überhaupt bei Vergehen durch die Presse. – In bezug auf das materielle Strafrecht macht das Verlangen nach bürgerlicher Freiheit wesentlich als Verwerfung der qualifizierten Leibes- und Lebenstrafen, oft der Todesstrafe überhaupt, sich geltend. Im bürgerlichen Recht hängt sie mit der Freiheit der ökonomischen Betätigung eng zusammen.

2. Die Freiheit der ökonomischen Betätigung bedeutet: a) freie Verfügung über die eigene Person und ihre Arbeitskraft, also freie Berufswahl und freie Vertragschliessung, b) Freiheit des Eigentums, d. i. des Erwerbes und des Gebrauches von Eigentumsrechten; daher auch der Veräusserung, Verpfändung und Vererbung von Sachgütern jeder Art. Die Etablierung dieser Freiheiten bedeutet eine ausgleichende Tendenz in bezug auf Personen und in bezug auf Sachen. Praktische Bedeutung hat sie namentlich A) als Gewerbefreiheit gegen den Zunftzwang und als Prinzip der Gleichberechtigung von Unternehmern und Arbeitern gegenüber der sonst auch rechtlich normierten Abhängigkeit dieser von jenen, B) als Aufhebung der Unterschiede von Kapital und Grundeigentum, Mobilisierung


  1. „Und wenn es eine strohgedeckte Hütte ist – Regen und Wind mögen Zutritt haben, der König hat ihn nicht“ verkündete die Rhetorik Pitt’s d. Ae.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/263&oldid=- (Version vom 31.7.2021)