Hierzu schien der Regierung dieser Reichstag nicht bewilligungslustig genug und lediglich deshalb die Auflösung.
Was bei dieser Wahl seitens der Konservativen und Deutschparteiler, unter Assistenz der Regierung, an Wahlschwindel geleistet wurde, überstieg alles bisher dagewesene.
Wer das Kriegsgeheul der konservativen und nationalliberalen Presse, das von der offiziösen Presse unterstützt wurde, gehört, wer die massenhaft verbreiteten Tröl’schen Karten, auf denen mit roten Klecksen die Uebermacht der Franzosen an der deutschen Grenze verzeichnet stand, gesehen, wer die Bilderbogen gesehen, auf denen deutsche Frauen von französischen Truppen mißhandelt, dem Bauer die letzte Kuh aus dem Stall geholt wurde, der kann sich einen Begriff von dem Schwindel machen, durch welchen der deutsche Wähler in Angst und Schrecken versetzt und die Niederlage der Oppositionsparteien herbeigeführt wurde.
Das Schandgesetz wurde gegen uns noch schärfer gehandhabt wie früher. Von Versammlungen war gar keine Rede, ja selbst unsere Wahlflugblätter und Stimmzettel wurden gegen Recht und Gesetz konfisziert, so daß viele Wähler nicht einmal unseren Stimmzettel erhalten konnten.
Diese Wahl endete mit einem Verlust für uns von 500 Stimmen. Unser Kandidat Fleischmann, ein aus Frankfurt a. M. Ausgewiesener, erhielt 621 Stimmen, während 1884 bei der Reichstagswahl 1119 Stimmen auf unseren Kandidaten fielen.
Aber nicht nur wir hatten einen Stimmenrückgang, sondern die Volkspartei, die bisher das
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/93&oldid=- (Version vom 1.8.2018)