Die Kegelmaierianer feierten ihren Sieg durch einen solennen Fackelzug und er bedankte sich grinsend für die Wahl und für diese Ehre.
Nun begann für die nächsten zwanzig Jahre die Kegelmaierei in unserer Stadt, deren Folgen wir heute noch nicht ganz überwunden haben. Vielleicht beschäftige ich mich später speziell mit dieser Bescherung.
Im selben Jahr war nochmals unser guter Stern in Tätigkeit. In Stuttgart wurde wieder der Hauptexpedient des „Sozialdemokrat“, der Genosse B., infolge von Denunziation des immer noch nicht entlarvten Spitzels, den wir in unseren Reihen hatten, verhaftet.
Man hegte dorten die Befürchtung, es könnte wie 1881 das Deckadressenverzeichnis in die Hände der Hermandad fallen und setzte die süddeutschen Genossen hievon in Kenntnis mit den Worten: „Alles wegräumen, nicht echt.“
Der Brief nach hier mit den inhaltschweren Worten war richtig adressiert, auch bezüglich der Straße und Hausnummer, aber es gab zwei Personen hier mit dem gleichen Vor- und Zunamen. Der Briefträger, der allem Anschein nach wenig auf Straße und Hausnummer geachtet, brachte den Brief an die falsche Adresse, an einen alten Spießbürger, der den Brief auch öffnete.
Leider hatte der Spießer soviel Grütze, daß er sofort wußte, um was es sich handelte und den Brief dem Polizeiwachtmeister Kaiser zuschickte.
Um sich nach vollbrachter Tat durch einen Vesperschoppen zu stärken, begab er sich ins Wirtshaus. Hier erzählte er brühwarm das soeben Erlebte in Gegenwart unseres Genossen Sch.,
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/90&oldid=- (Version vom 1.8.2018)