Dieser Edle, etwas stark dumm aber eine richtige Knechtseele, gab mir während unseres Beisammenseins öfters Stoff, ihn ganz gehörig unter den Hobel zu nehmen und ziemlich abgehobelt verließ er uns nach vierzehn Tagen, um seine sechs Wochen abzubrummen als Nachkur.
Der Andere, ein ziemlich umfangreicher Fünfziger, saß wegen Wechselreiterei schon im vierten Monat in Untersuchungshaft. Der arme Kerl war durch die lange Haft schon ganz gebrochen, willenlos geworden und zufrieden, wenn er um 6 Uhr abends seinen Liter Wein bekam, um ihn aus der Kaffeetasse zu schlürfen. Seine Angehörigen hatten ihm für jeden Tag einen Liter Wein bewilligt, sonst kümmerte sich aber kein Teufel um ihn, trotzdem er Weib und erwachsene Kinder hatte, was dem Armen manche Träne entlockte. Solcher Gestalt und Qualität waren die beiden, mit denen ich für die nächsten Wochen Wohn- und Schlafraum zu teilen hatte.
Am nächsten Morgen um 8 Uhr wurde ich Kegelmaier vorgeführt. Nachdem er mir eröffnete, daß ich im Verdacht stehe, der Leiter der Verbreitung der verbotenen Druckschrift „An das deutsche Volk“ zu sein und deshalb in Haft genommen wurde, fragte er mich zunächst, ob ich von dem mir nach der Strafprozeßordnung zustehenden Recht der Beschwerde gegen meine Verhaftung Gebrauch machen wolle.
Ich erklärte hierauf, daß ich vorerst auf das Beschwerderecht verzichte, da ich hoffe, falls er die Untersuchung beschleunige, schon vor Ablauf der Beschwerdezeit wieder auf freiem Fuße zu sein. Er versprach die Angelegenheit so rasch wie möglich zu erledigen und nun ging es ans inquirieren.
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/71&oldid=- (Version vom 1.8.2018)