die Verhaftung verschiedener Genossen sicher sei, überließ ich die Entscheidung über die Verbreitung den dazu bestimmten Genossen, welche einstimmig die Verbreitung beschlossen. Von dieser Verbreitung, weil zu gefährlich, waren ausgeschaltet einige Genossen mit zahlreicher Familie, sowie meine Wenigkeit. Da vorauszusehen war, daß ich als Leiter der Verbreitung so wie so schon in die Affäre gezogen werde, mußte ich imstande sein, mein Verbleiben während dieser Verbreitung genau nachweisen zu können. Nachdem ich die Genossen noch genau instruiert hatte bezüglich ihres Verhaltens bei der Verbreitung und bei einer eventuellen Verhaftung, ihnen ganz besonders einschärfte, nach der Verbreitung ja nicht mehr zusammen zu kommen, sondern am besten sich sofort nach Haus zu begeben, trennten wir uns.
Die Verbreitung ging dann auch glatt vor sich. Um 10 Uhr abends begab ich mich in Begleitung eines Kollegen in meine Wohnung, um klipp und klar nachweisen zu können, daß ich zu Hause war während der Verbreitung. Um ½11 Uhr begann dieselbe und kurz vor 11 Uhr waren die beiden Zugänge zu meiner Wohnung schon von Schutzleuten besetzt, wie ich vom Fenster aus bemerken konnte und ich wußte, daß die Verbreitung vollzogen, daß die Polizei aber auch schon Kenntnis von derselben hatte.
Diese rasche Kenntnis verdankte unsere Hochwohllöbliche nicht etwa ihrer eigenen Findigkeit, sondern lediglich dem Umstand, daß ein bekannter Zutreiber und verkappter Polizeispitzel ein in der Eile verlorenes Blatt auf der Straße fand und dasselbe schnurstracks auf der Polizeiwache ablieferte.
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/65&oldid=- (Version vom 1.8.2018)