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Seite:Georgien. Natur, Sitten und Bewohner.pdf/102

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ablegen könne. Die Jagd findet statt, giebt aber dem Könige nur Grund zu neuer Trauer, denn seine Gefährten finden im Walde einen weinenden, in ein Tigerfell gehüllten Jüngling, der dem Könige höchst geheimnisvoll erscheint. Er trägt daher seinen Dienern auf, den Jüngling um die Ursache seiner Betrübnis zu befragen, doch dieser entflieht und verbirgt sich im Dickicht des Waldes. Der König ist in Folge dessen trostlos und verfällt in noch schwereren Kummer. Da beschliesst seine Tochter, die schöne Tinatina, Alles zu thun, um die Ursache der Betrübnis des Vaters zu beseitigen und verspricht demjenigen der Ritter ihre Hand, welcher ihr genaue Nachricht über den geheimnisvollen Jüngling bringt. Autandil, der längst im Stillen die Königstochter liebt, erbietet sich auszuziehen und nach dem Manne im Tigerfelle zu forschen. Drei Jahre wandert er umher, bis es ihm endlich gelingt den Jüngling aufzufinden und seiner Geliebten die erwünschte Aufklärung zu bringen. Diese sträubt sich auch nicht seine Gemahlin zu werden und glänzende Hoffeste beschliessen die Erzählung.

Diese, sowie die anderen mit ihr verflochtenen Fabeln mögen dem heutigen Leser naiv erscheinen, aber der Endzweck des Dichters, ein Lebensbild seiner Zeit zu schaffen, ist gross und ernsthaft. Dabei ist die Dichtung in einer Sprache geschrieben, die klassisch genannt zu werden verdient und neben farbenreichen Bildern zieren sie kernige Gedanken, die manches gefeierten Dichterfürsten würdig sind. Fast nie verfällt Rustaweli in’s Abgeschmackte und oft erinnert seine feierliche Einfachheit an Vater Homer. Nur in den Vergleichen sündigt er viel, denn in dieser Hinsicht kann er sich seines orientalischen Wesens nicht entschlagen und wird überschwänglich.

Um dem Leser wenigstens eine flüchtige Einsicht in den Farbenreichtum der Rustawelischen Dichtung zu ermöglichen,

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Leist: Georgien. Natur, Sitten und Bewohner. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig 1885, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Georgien._Natur,_Sitten_und_Bewohner.pdf/102&oldid=- (Version vom 1.8.2018)