seine Entschlüsse, seine neue Liebe und den Ort, wo er war, indem er Nouns Liebkosungen erwiderte.
Nach und nach tauchte ein unbestimmter nebelhafter Gedanke an Indiana in Raymon auf. Die beiden Spiegelscheiben, welche Nouns Bildnis vervielfältigten, schienen sich mit tausend Phantomen zu bevölkern. Er glaubte in der Tiefe dieser doppelten Widerspieglung eine zartere Form zu erblicken und in dem letzten duftigen, dunklen Schatten, welchen Noun hineinwarf, den feinen, schmächtigen Wuchs Indianas zu erkennen.
Betäubt, wie Raymon von den starken Weinen, verstand Noun die wunderlichen Reden ihres Geliebten nicht. Wenn sie nicht selbst trunken, wie er gewesen wäre, würde es ihr nicht entgangen sein, daß Raymon an eine ganz andere dachte. Sie hätte bemerkt, daß er die Schärpe und die Bänder küßte, die Indiana getragen hatte, die Wohlgerüche einatmete, die ihn an sie erinnerten, aber Noun bezog dies alles auf sich selbst, während Raymon von ihr nichts sah, als Indianas Gewand. Indiana sah er in der Wolke des Punsches, welchen Nouns Hand entzündet hatte.
Als Raymon von seinem Rausch erwachte, drang der Tag durch die Spalten der Fensterladen, und lange blieb er regungslos in ein dumpfes Staunen versunken, den Ort, wo er sich befand, und das Bett, worauf er in seinen Kleidern geruht hatte, fast für ein Traumgesicht haltend. Im Zimmer der Frau Delmare hatte Noun alles wieder in Ordnung gebracht, nichts verriet das Gelage des gestrigen Abends.
Raymon stand auf und wollte hinausgehen; aber die Tür war verschlossen, das Fenster dreißig Fuß vom Boden entfernt.
Da warf er sich auf seine Knie.
„O Indiana,“ rief er, die Hände windend, „kannst du mir eine solche Schmach verzeihen? Verwirf mich jetzt, vertrauende, sanfte Indiana; denn du weißt nicht, welchem schändlichen, gemeinen Menschen du die Schätze
George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/42&oldid=- (Version vom 31.7.2018)