„Junger Mann,“ sagte er, meine Hand fassend, „bleiben Sie noch einen Tag bei uns; ich möchte den einzigen Freund, den wir in diesem Lande haben, so von mir nicht scheiden sehen.“
Als Frau Delmare sich entfernt hatte, sagte er:
„Ich habe Sie verstanden, ich will Ihnen meine Geschichte erzählen, aber nicht in Indianas Gegenwart. Es gibt Wunden, an die man nicht rühren darf.“
Am Abend machten wir einen Spaziergang in den Wald. Die vor vierzehn Tagen noch so frischen und schönen Bäume waren gänzlich ihrer Blätter beraubt, aber schon bedeckten sie sich mit dicken, harzigen Knospen. Die Bäche stießen den Sand, mit dem ihr Bett erfüllt war, mit Beharrlichkeit aus. Alles gewann wieder Lieben und Frische.
„Sehen Sie doch,“ sagte Ralph zu mir, „mit welcher erstaunlichen Schnelligkeit diese reiche, gütige Natur ihren Schaden wieder verbessert!“
„Ich erinnere mich der Stürme des vergangenen Jahres,“ bemerkte Indiana; „nach vier Wochen war keine Spur mehr von ihren Verwüstungen zu sehen.“
„Das ist das Bild eines vom Kummer gebrochenen Herzens,“ erwiderte ich; „wenn das Glück ihm wieder nahet, blühet es von neuem und verjüngt sich schnell wieder.“
Indiana reichte mir die Hand und sah Herrn Brown mit einem unaussprechlichen Blick voll Zärtlichkeit an.
Als die Nacht kam, zog sie sich in ihr Zimmer zurück und Sir Ralph hieß mich neben sich auf eine Bank im Garten setzen und erzählte mir seine Geschichte bis zu dem Punkte, wo wir sie im letzten Kapitel gelassen haben.
Hier machte er eine lange Pause und schien meine Gegenwart gänzlich vergessen zu haben.
Von dem Interesse getrieben, das ich an seiner Erzählung nahm, wagte ich sein Nachdenken durch eine Frage zu unterbrechen.
George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/184&oldid=- (Version vom 1.8.2018)