daß er sich ihrer erbarmte, wie das Kind vom Anblick des Vögleins gerührt wird, das es töten wollte. Und er weinte wie ein Weib, dieser eherne Mann, und entfernte sich, damit sie nicht den Triumph genießen sollte, seine Tränen zu sehen. In der Tat, es war schwer zu entscheiden, wer unglücklicher war, ob sie oder er. Herr und Frau Delmare hatten in Melun und Fontainebleau einige wohlhabende Familien kennengelernt, die den Winter in Paris zubrachten und hier das Ehepaar aufsuchten. Diese kleinstädtischen Menschen wurden nun die eifrigsten Zwischenträger und suchten die Gatten auszusöhnen, die doch niemals in Streit gerieten. Die einen rieten Frau Delmare zur Unterwerfung und sahen nicht, daß sie darin schon des Guten zu viel tat; die anderen rieten dem Gatten, streng zu sein und sein Ansehen nicht unter den Pantoffel kommen zu lassen. Nichts wurde von diesen klatschsüchtigen Leuten, unter dem Vorwande, Frieden zu stiften, unversucht gelassen, die Lage des so ungleichen Ehepaares zu verschlimmern und ihre gegenseitige Hartnäckigkeit noch zu schüren.
Ralph war klug genug, sich in ihre Zwistigkeiten nicht zu mengen. Indiana hatte geargwöhnt, er werde Raymon bei ihrem Gatten verdächtigen; doch das fortdauernde gute Einvernehmen zwischen diesen beiden war ihr ein überzeugender Beweis von der Verschwiegenheit ihres Vetters. Sie fühlte jetzt das Bedürfnis, ihm zu danken; aber er wich ihren Versuchen aus. Sie bemühte sich daher, ihm ihre Dankbarkeit durch freundliche Fürsorge und kleine zärtliche Aufmerksamkeiten zu bezeugen; aber Ralph schien nicht darauf zu achten und Indianas Stolz wurde von dieser hochmütigen Großmut sehr gedemütigt. Um in ihm nicht die Meinung zu erwecken, als habe sie ihn durch jene zarten Auszeichnungen nur in seiner Nachsicht und Verschwiegenheit bestärken wollen, nahm sie gegen den armen Ralph wieder ein kaltes, gezwungenes Wesen an. Sein Benehmen erschien ihr als der ausgebildetste Egoismus; er schien sie zwar zu lieben, aber nicht mehr zu achten.
George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/107&oldid=- (Version vom 31.7.2018)