Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1 | |
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hatte. Die Aerzte stellten fest, daß die Verletzung wahrscheinlich durch den Gebrauch eines Dolchmessers entstanden war. Es wurde auch festgestellt, daß Lieske am Tage des Mordes in Frankfurt gewesen, von diesem Tage ab aber verschwunden war.
Obwohl Lieske beharrlich leugnete, wurde die Anklage wegen Mordes gegen ihn erhoben. Er hatte sich Ende Juni 1885 vor dem Schwurgericht Frankfurt a. M. zu verantworten. Die Geschworenen hatten die Schuldfrage wegen Mordes bejaht. Der Erste Staatsanwalt Freese beantragte die Todesstrafe und dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Daraufhin zog sich der Gerichtshof zur Beratung zurück. Nunmehr trat Lieske vor den Staatsanwalt und rief: „Der Rumpf ist kaput gegangen, der Rumpf ist tot, ha! ha! ha!“ Dabei klatschte er vergnügt in die Hände. Der Erste Staatsanwalt gebot dem Angeklagten Schweigen, Lieske rief jedoch: „Sie, Herr Staatsanwalt, werden niemanden mehr anklagen, dafür wird gesorgt werden!“
Der Gerichtshof verurteilte den Angeklagten zum Tode und zu dauerndem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Die eingelegte Revision wurde vom Reichsgericht verworfen. Im September 1885 wurde Lieske hingerichtet.
Die Prophezeiungen Lieskes gegen den Ersten Staatsanwalt Freese haben sich voll bewahrheitet. Freese erhielt nach der Verurteilung Lieskes fortgesetzt Drohbriefe, die den ohnehin nicht ganz taktfesten Mann in große Aufregung versetzten. Er beantragte schließlich seine Versetzung. Er wurde Kammergerichtsrat in Berlin, und zwar Beisitzer eines
Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/59&oldid=- (Version vom 1.8.2018)