Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1 | |
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Joseph es „gespukt“ haben müsse, denn es seien einige Latten umgefallen und auch ein großer Topf mit Blut sei gefunden worden. Das Dienstmädchen von Joseph war in der Mordnacht zum Tanz gewesen. Als es am andern Morgen von dem Morde hörte, lief es eiligst zum Ortsvorsteher und sagte diesem, um keinen Preis der Welt bleibe es länger bei Joseph. Als es gegen 2 Uhr nachts nach Hause gekommen sei, habe es ein furchtbares Gepolter und bald darauf ein schreckliches Heulen gehört. „Buh“ habe es gemacht. Am Abend vor dem Morde seien auch mehrere Juden bei Joseph gewesen und haben vom Schlachten eines Christenkindes gesprochen. Am Morgen nach dem Morde haben bei Joseph mehrere Juden, unter diesen Joseph und seine Frau, an einem Tisch gesessen, auf dem die fehlenden Oberschenkel des Ermordeten lagen. Die Männer haben mit dem Hut auf dem Kopf am Tisch gesessen, die Hände auf die Oberschenkel des Ermordeten gelegt und laut hebräisch gebetet. Höchst wahrscheinlich wollten die Juden, so bemerkte das Dienstmädchen, an den Oberschenkeln ihre Sünden abbeten.“
Diese Angaben des Mädchens fanden im Dorfe vollen Glauben; es kam aus diesem Anlaß zu einer regelrechten Revolte gegen die Juden. Man demolierte die Läden und Wohnungen der Juden. Joseph und der Händler Abraham wurden wegen Verdachts des Mordes in Haft genommen, letzterer, weil er eine Verletzung am Finger hatte. Abraham soll dem Ermordeten einmal gedroht haben, ihn anzuzeigen, daß er mit Ziegenfellen handle, obwohl er keine Gewerbesteuer
Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/55&oldid=- (Version vom 31.7.2018)