Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8 | |
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Konfession sei. Sie bekundete ferner auf Befragen des Vorsitzenden: Ich war am 2. März zum dritten Male im Panoptikum. Als ich das Panoptikum zum zweitenmal besuchte, erhielt ich von Herrn Castan ein Familienpassepartoutbillett. Am in Rede stehenden Sonntage kam ich gegen 6 Uhr abends ins Panoptikum. Nachdem ich ca. 3/4 Stunden im Panoptikum verweilt hatte, drängte sich Herr von Basilewitsch an mich heran. Sehr bald kam Herr Castan zu mir und sagte, ich solle ihm helfen, einen Spitzbuben abzufassen. Auf Auffordern des Herrn Castan lieh ich mir von meiner Mutter ein Portemonnaie und steckte es in meine offene Jackettasche. Alsdann stellte ich mich an den Schaukasten, in welchem die chinesischen Schuhe stehen und las in einem Katalog. Ich las nicht bloß pro forma, sondern ganz ernsthaft und wußte auch nicht, daß der abzufassende Dieb der Angeklagte sei. Ich stand vor dem Schaukasten, in die Lektüre des Katalogs vertieft, etwa 15 Minuten. – Vors.: Das ist ja eine sehr lange Zeit. – Zeugin: Vielleicht sind es auch bloß 10 Minuten gewesen. Der Angeklagte drängte sich ganz dicht an mich heran. Ob er mir das Portemonnaie entwendet hat, weiß ich nicht. Ich weiß bloß, als ich an den Schaukasten herantrat, befand sich das Portemonnaie in meiner Jackettasche. Es hat außer Herrn von Basilewitsch niemand in meiner Nähe gestanden, es war überhaupt gar nicht voll im Panoptikum. Als ich nach Verlauf von 10 Minuten von dem Schaukasten wegging, fragte mich Herr Färber, ob ich das Portemonnaie noch habe; da erst vermißte ich das Portemonnaie. Ob es der Angeklagte auf seinem Transport zur Wache, wohin ich ihn begleitete, fortgeworfen hat, weiß ich nicht. – Auf die Frage des Staatsanwalts erklärte die Zeugin, daß sie das Portemonnaie, während sie an dem Schaukasten stand, stets bei sich fühlte. Zwischen dem letzten Nachfühlen und der Zeit, wo sie das Portemonnaie vermißte, lag ein Zeitraum von ca. 5 Minuten. – Die Mutter dieser Zeugin, eine separierte Kobelt, geb. Landsberg,
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/54&oldid=- (Version vom 1.5.2023)