Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8 Fürst Bismarck gegen den Universitätsprofessor Dr. Theodor Mommsen | |
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direkt beleidigt oder ist er inter ceteros beleidigt? Was die erste Frage betrifft, so haben mehrere Personen und mehrere Zeitungen in milder und in wilder Form dem Herrn Angeklagten geraten, doch das Martyrium auf sich zu nehmen und einzugestehen, daß er den Fürsten Bismarck gemeint habe. Nun, das Martyrium ist auch nach dem Antrage des Staatsanwalts nicht gar groß und ein bedeutender Mut würde dazu nicht gehört haben. Aber ich behaupte: Gerade die Liebe des Herrn Angeklagten zur Wahrheit hindert ihn daran, etwas einzugestehen, was er nicht gemeint hat. Wenn man willkürlich interpretieren will, dann könnte man bei der Anwendung des Ausdrucks „ein Hoher“ schließlich doch auch noch über den Fürsten Bismarck hinausgehen oder unter diesem bleiben. Tatsächlich hat sich ja noch ein Mann als Beleidigter gemeldet, der doch gewiß wenigstens in wissenschaftlicher Beziehung ein „Hoher“ ist, und ich hoffe, daß der Gerichtshof nicht lesen wird „ein Hoher“, sondern „ein Hoher“. Die zweite Frage ist, ob hier ein bestimmter, eng begrenzter Personenkreis bezeichnet ist, in welchem Fürst Bismarck notwendig auch zu finden ist. Dies kann doch nur der Fall sein, wenn die Grenzen dieses Kreises nicht ins Unverkennbare verschwimmen. Man kann wohl die Geistlichkeit, die Richter einer Stadt, unter Umständen auch wohl das deutsche Heer so beleidigen, daß der Einzelne den Strafantrag stellen kann, nimmermehr aber etwa „die Menschheit“, „die Europäer“, „die Liberalen, Ultramontanen oder Orthodoxen“. Der Angeklagte spricht von der Wirtschaftspolitik der „neuen Propheten“. Ja, wer sind denn die neuen Propheten und wer waren die alten Propheten? Darüber hat der Angeklagte nichts gesagt. Die Wirtschaftspolitik, die er meint, hat er aber näher definiert, indem er sagte: „Die Verheißung, daß jedem Menschen erforderlichenfalls für sein Alter eine angemessene Versorgung werden solle, ist Schwindel.“ Macht denn etwa ein Realpolitiker wie Fürst Bismarck eine solche phantastische, ganz unerfüllbare Verheißung? Eine
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)