Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8 | |
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Unter dem Titel: „Das spiritistische Medium Anna Rothe“ habe ich bereits im ersten Bande darauf hingewiesen, daß in der Hauptstadt des Deutschen Reiches, die man auch als „Metropole der Intelligenz“ bezeichnet, das Kartenlegen ungemein verbreitet ist. Das Kartenlegen, das nicht bloß von Frauen, sondern auch von Männern betrieben wird, soll selbst in Berlin noch ein sehr lukratives Geschäft sein. Es gibt in Berlin eine Anzahl Kartenlegerinnen, bei denen der Andrang so groß ist, daß sie elegante geräumige Wohnungen mit zwei großen Empfangszimmern haben. Eine elegant gekleidete „Empfangsdame“ mit weltstädtischen Manieren macht die Honneurs. Diese Dame sortiert die Eintretenden mit Kennerblick nach ihrer Zahlungsfähigkeit, da ein Empfangszimmer für die Wohlhabenden, ein zweites für die Minderbemittelten bestimmt ist. „Sind Sie angemeldet und zu welcher Zeit?“ fragt die Empfangsdame die Eintretenden. Wenn diese Frage von einer Dame oder Herrn, die als minder zahlungsfähig erscheinen, verneint wird, dann erhalten sie gewöhnlich zur Antwort: „Sie werden alsdann sehr lange warten müssen, wenn Sie es nicht vorziehen, sich für einen späteren Tag anzumelden.“
Es soll in Berlin Kartenlegerinnen geben, die nicht nur ein großes Haus führen, die auch ihre Söhne das Gymnasium besuchen, studieren und als Einjährig-Freiwillige dienen lassen. Der Sohn einer dieser Berliner „Sybillen“ soll an der Berliner Börse vereideter Makler sein. Solange sich
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/296&oldid=- (Version vom 18.4.2024)