Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7 | |
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auch Anarchist? – R.: Allerdings, er wurde es später und es ging ihm bald nicht besser, als mir. Hödel betrieb einen Bücher- und Schriften-Kolportagehandel und nährte sich nur notdürftig, während die Führer der sozialdemokratischen Partei, die, gleich den Bourgeois, in Saus und Braus lebten, nicht das taten, was Hödel wollte, d. h. daß sie die ōkonomische Gleichheit nicht schon heute unter den Parteigenossen einführten. – Vors.: Sie waren auch mit dem Schriftsetzer Emil Werner, der die Zeitung „Der Kampf“ herausgab, befreundet? – R.: Jawohl, ich arbeitete mit diesem zusammen. – Vors.: Es ist das auch ein bekannter Anarchist? – R.: Ja. – Vors.: Sie kannten auch Most persönlich? – R.: Ich sah Most zum ersten Male in Berlin in Versammlungen. Als ich 1880 nach London kam, besuchte mich Most, der von meinen Ausweisungen gehört hatte. Most interessierte sich seit dieser Zeit sehr für mich. In Berlin konnte ich mit Most nicht befreundet werden, da dieser zurzeit noch der sozialdemokratischen Partei angehörte; er hat erst später eingesehen, daß man mit den Ideen dieser Partei nicht zum Ziele kommen kann. – Vors.: Sie bekennen sich zur anarchistischen Partei; geben Sie zu, daß Anarchie Regierungslosigkeit heißt, so daß jede Gesellschaftsordnung aufhört? – R.: Die Anarchisten erstreben: 1. eine derartige Staatsordnung, wodurch es jedem normal veranlagten Menschen möglich ist, die höchste Kulturstufe zu erreichen; 2. die Menschen von Kummer und Sorgen zu befreien; 3. die Menschen nach Möglichkeit von der Arbeit zu entlasten, und 4. der Dummheit und dem Aberglauben ein Ende zu machen. Die Anarchisten lassen ihren Mitgliedern so viel Spielraum, daß jedes Mitglied seine eigenen Ansichten haben kann. Um das von mir erwähnte Ziel zu erreichen, ist es notwendig, die heutige Privatproduktion in eine anarchistische zu verwandeln. Dazu ist erforderlich, daß aller Grund und Boden, alle Werkzeuge, alle Maschinen, alle Häuser expropriiert und der Gesamtheit zugewendet werden.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/176&oldid=- (Version vom 18.7.2024)