Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7 | |
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einen solchen Umweg gemacht, während er einen viel kürzeren Weg wählen konnte. Wenn jemand das Opfer eines solch fürchterlichen Verbrechens fortschaffen will, dann nimmt er doch ganz naturgemäß den kürzesten Weg. Es ist ferner nicht erwiesen, daß die beiden Anzüge des Angeklagten irgendwie mit Blut befleckt waren, ja wir haben ganz direkt gehört, daß der Angeklagte weder einen Sack noch lange Stiefeln, die der Mann mit dem Sacke getragen haben soll, besitzt. Fest steht, daß die Operation nur in einer Behausung geschehen sein kann. Es entsteht doch dabei unwillkürlich die Frage: wo hat dies der Angeklagte getan? Seine Ehefrau und Czarnicki haben bekundet, daß er in jener Nacht von 9 Uhr ab zu Hause gewesen ist. Gastwirt Stenzel, in dessen Hause der Angeklagte wohnt, hat nicht das mindest Auffallende in jener Nacht wahrgenommen. Es kommt noch hinzu, daß die Ehefrau des Angeklagten 10 Tage vor ihrer Entbindung stand. Wenn auch der Angeklagte ein roher Mensch ist, so ist doch nicht anzunehmen, daß er sich gerade diese Zeit zur Vollführung eines solchen Verbrechens ausersehen wird und noch dazu an einem Abende, wo er, wenn auch nicht ganz sinnlos, aber doch zweifellos in hohem Grade angetrunken gewesen ist. Auch ist nicht einzusehen, weshalb er, wenn er den Mord, wie nach der Lage der Dinge anzunehmen ist und der Herr Staatsanwalt selbst zugibt, bereits gegen 9 Uhr abends begangen hat, bis zum anderen Morgen um 6 Uhr mit der Fortschaffung der Leiche wartet. Der Umstand, daß er gesagt, er könne keine Leichen sehen, spricht doch wahrlich ebenfalls nicht für seine Schuld. Dem Angeklagten sind 4 Kinder gestorben, ist es nicht möglich, daß dem Angeklagten dies so zu Herzen gegangen ist, daß er andere menschliche Leichen nicht mehr zu sehen vermag? Ich wage kaum den Gedanken auszusprechen, daß hier ein Totschlag vorliegen könnte. Wenn der Angeklagte das Verbrechen begangen hat, dann hat er sich zweifellos des Mordes schuldig
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/126&oldid=- (Version vom 10.4.2023)