Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6 | |
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darüber möchte ich schweigen. Er hat ihre Briefe an die Gefängnisverwaltung ausgeliefert und dadurch die Mordsache erst in Fluß gebracht, während sie ihn bis zum letzten Moment zu schützen gesucht hat. Preßler wäre vielleicht der Mann gewesen, Grete Beier einen moralischen Halt zu geben. Das hat er nicht getan. Er handelte um so schlimmer, als er ihr auch noch den religiösen Glauben nahm. – Vors.: Dafür, daß Preßler der Angeklagten den Glauben genommen hat, hat die Verhandlung keinerlei Beweis erbracht. – Sachverständiger: Ich weiß es von Grete Beier selbst. Ihre Mutter hat sich nie um sie gekümmert. Sie war in Brand eine übelbeleumundete Person, ränkisch, zänkisch und hinterlistig. Aber auch der Vater stand in einem sehr schlechten Ruf. Es war niemand da, an den die Angeklagte Anschluß finden konnte. Oberarzt Dr. Nerlich faßte schließlich sein Gutachten in folgenden Sätzen zusammen: 1. Grete Beier ist moralisch minderwertig; 2. sie ist nicht geisteskrank, auch nicht im Sinne des § 51 Str.-G.-B.; 3. sie hat sich auch zur Zeit der ihr zur Last gelegten Straftaten nicht in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden, durch welchen ihre freie Willensbestimmung ausgeschlossen sein würde. – Sachverst. Sanitätsrat Dr. Nittolz schloß sich diesem Gutachten im großen und ganzen an und gelangte ebenfalls zu dem Schluß, daß die Angeklagte nicht erblich belastet und geistig gesund sei. Darauf wurde von allen Prozeßbeteiligten auf weitere Zeugen verzichtet und die Beweisaufnahme geschlossen. Den Geschworenen wurden folgende Schuldfragen vorgelegt: 1. Ist die Angeklagte Margarete Beier schuldig: a) am 13. Mai 1907 zu Chemnitz vorsätzlich ihren Bräutigam Kurt Preßler getötet und b) diese Tötung mit Überlegung ausgeführt zu haben? 2. Ist die Angeklagte Margarete Beier schuldig: a) im Mai zu Chemnitz und Brand eine Privaturkunde, die zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen erheblich ist, nämlich das Testament ihres Bräutigams fälschlich angefertigt
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/323&oldid=- (Version vom 31.7.2018)