Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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kehrte schließlich auf das Gymnasium zurück. Der Photographie nach zu urteilen, muß er ein häßliches Gesicht gehabt haben. Er wurde jedoch als Mensch von selten stattlichem Wuchs und auffallend schönem, kräftigem Körperbau geschildert. Er soll, obwohl noch Schüler und erst 18½ Jahre alt, ein sehr ausschweifendes Leben geführt haben. Es entstand daher der Verdacht: Winter sei von einem beleidigten Gatten, Vater, Bruder oder Bräutigam, oder auch von einem eifersüchtigen Liebhaber in einer gewissen Situation betroffen und, vielleicht wider Willen, derartig geschlagen worden, daß er den Tod erlitten habe. Daß Winter in solcher Situation den Tod erlitten hatte, dafür sprachen mit voller Deutlichkeit die in dem Hemd des Ermordeten vorgefundenen Spermaflecke. Es wurde auch der Vermutung Ausdruck gegeben: Winter sei in der erwähnten Situation von einem Zuhälter erschlagen und beraubt worden. In dem Gymnasialstädtchen Konitz soll die Zahl der Dirnen und Zuhälter verhältnismäßig sehr groß gewesen sein. Da, wie die verschiedenen Strafprozesse gelehrt haben, die Zuhälter auf ihre Dirnen ungemein eifersüchtig sind und auch Uhr, Kette und das Portemonnaie des Ermordeten mit 2 Mark Inhalt fehlten, war es nicht ausgeschlossen, daß ein Zuhälter, einerseits aus Eifersucht und andererseits, um Uhr, Kette und Portemonnaie zu rauben, den jungen Mann totgeschlagen und um die Spuren des Verbrechens zu verwischen, den Leichnam zerstückelt und die einzelnen Körperteile an verschiedene Orte geschafft hatte. Hände und Füße des Ermordeten wurden auch sehr bald, zumeist auf Kirchhöfen gefunden. Die große Mehrheit der Konitzer Bevölkerung glaubte aber nicht an einen Totschlag, aus Rache oder Eifersucht, sondern es wurde sofort behauptet: Ernst Winter sei von den Juden geschlachtet worden, da diese zu dem nahe bevorstehenden jüdischen Passahfest zu ihren Osterkuchen (Mazzes) Christenblut brauchen. Als Beweis wurde die Auffindung des Rumpfes in unmittelbarer Nähe
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/85&oldid=- (Version vom 29.1.2023)