Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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leidenschaftsloser Mann und fleißiger Arbeiter gewesen. Er habe wiederholt den Versuch gemacht, sich dem Zauber der Tarnowska zu entziehen. Einmal blieb er ihr trotz aller telegraphischen Aufforderungen zwei Monate fern und gab vor, an Lungenentzündung erkrankt zu sein. Die Tarnowska kostete ihrem Mann, der früher bescheiden gelebt hatte, ungeheures Geld. Sie (Zeugin) habe Diner-Rechnungen gesehen, die sich auf 600 Rubel per Abend beliefen. Nach einem Selbstmordversuch verlor ihr Gatte auch seine letzte Widerstandskraft gegen die Tarnowska. Staatsrat Samentzow (Kiew) hatte bei seiner kommissarischen Vernehmung bekundet: Er habe es getadelt, daß die Tarnowska mit Vorliebe französische Bücher gelesen habe und häufig zu wissenschaftlichen Vorträgen und Konzerten ging, augenscheinlich nur, um sich zu zeigen. – In einem amtlichen Schreiben wurde bezeugt, daß Maria Nikolajewna Mura Tarnowska im Adelsregister von Poltawa eingetragen sei. – Es gelangte ferner ein Brief zur Vorlesung, in dem Von Son an seinen Schwager Komarowski schrieb. „Ich habe Deine wunderschöne Braut (die Tarnowska) gesehen. Du wirst glücklich sein, wie ein Fisch im Wasser, mit einer solchen Lebensgefährtin, wie sie Deine zukünftige Frau ist.“ Der Brief ist datiert vom 30. August 1907, sechs Tage vor dem tragischen Tode Komarowskis. Über die finanziellen Verhältnisse der Tarnowska hatte der Adelsmarschall Zimbalistof von Kiew bekundet. Ihr Vater, Graf O’Rurch, gab ihr ein Monatsgeld von 300 Rubeln, und beim Tode der Mutter erbte sie zusammen mit der Schwester ein Landgut, das ihr eine Jahresrente von 4 bis 5000 Rubeln abwarf. Die Mutter der Tarnowska war gebildet und religiös, und ihre Tochter erhielt von ihr den ersten Unterricht. Letztere war von gutem Charakter und gefälligem Wesen und liebte es, als Kind reicher Eltern, ohne Beschränkung zu leben. Aus mehreren Zeugnissen ging hervor, daß verschiedene Familienmitglieder der Tarnowska
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/60&oldid=- (Version vom 5.1.2023)