Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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verhöhnt. Der Angeklagte Naumow erhob sich hierauf und erklärte, daß jener Dichter Masochist im physischen Sinne sei, er selbst sei es aber nur im geistigen. Er habe auch masochistische Gedichte verfaßt. Die Tarnowska wurde hierauf gefragt über den Sinn der Unterschrift in ihrem Briefe an Komarowski: „Deine keusche Braut“, sowie über den Widerspruch, der darin liegt, daß sie behauptet, niemals intimen Verkehr mit Komarowski gehabt zu haben, während dieser in einem Briefe an sie geschrieben hat: „Seit dem Augenblick, da ich Dich besessen habe, bist Du meine Frau vor Gott!“ Die Angeklagte entgegnete: Die Worte Komarowskis haben keine Bedeutung. Ich kann nur wiederholen, daß mein Verkehr mit Komarowski, ebenso wie mit Naumow, nur äußerlich gewesen ist. – In der Sitzung am 5. April 1910 teilte der Vertreter der Nebenkläger mit, daß die Mutter des Ermordeten, die alte Gräfin Komarowski, als Zeugin erschienen sei. Der Vorsitzende ordnete ihre sofortige Vernehmung an. Unter großer allgemeiner Spannung erschien hierauf die 63 Jahre alte, sehr vornehm, aber ungemein vergrämt aussehende Dame. Sie war vollständig in Trauer gekleidet. Ein dichter schwarzer Schleier fiel ihr bis auf die Schultern. In leisem, ruhigem Tone bekundete sie in fließendem Italienisch: Als sie die telegraphische Nachricht von der Verwundung ihres Sohnes erhielt, hatte sie keine Ahnung von deren Ursache. Sie reiste sofort ab, fuhr 3 Tage und Nächte hindurch, traf ihren Sohn aber schon tot an, und die Ärzte verwehrten ihr die Ansicht des Leichnams. Mit größter Verwunderung vernahm sie die Verhaftung der Gräfin Tarnowska. Sie kenne Naumow und sei der festen Überzeugung, daß dieser ihren Sohn nur unter der suggestiven Einwirkung der Tarnowska ermordet habe. Alle Blicke richteten sich auf die Angeklagte, aber diese blieb unbeweglich. Im Zuhörerraum hörte man das Schluchzen des Vaters Naumows. Der Vater der Angeklagten, Adelsmarschall O’Rurch, sah beunruhigt um sich, denn obgleich er kein Wort italienisch
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/57&oldid=- (Version vom 5.1.2023)