Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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in allen Dingen streng an die Wahrheit halten mußte. Er mußte wissen, daß er, sobald er nur einmal von der Wahrheit abweicht, sofort verhaftet wird. Der Angeklagte hatte also alle Veranlassung, auch betreffs des Verkehrs mit Winter streng bei der Wahrheit zu bleiben. Ist es denn unmöglich, daß der Angeklagte mit Winter sich unterhalten, zusammengegangen und zusammengestanden und ihn dennoch nicht gekannt hat? Die Gymnasiasten in Konitz kannten jedenfalls alle den „Pincenez Lewy“, ob aber auch letzterer alle Gymnasiasten, insbesondere alle diejenigen kannte, mit denen er sich von Zeit zu Zeit unterhielt, ist doch eine andere Frage. Nehmen Sie einmal an, ein Fremder fragt mich auf der Straße nach einem Hause. Ich begleite den Fremden, da mein Weg mich an dem Hause vorüberführt. Ich unterhalte mich mit dem Manne, wir bleiben sogar noch auf der Straße in lebhafter Unterhaltung stehen und verabschieden uns alsdann, indem wir uns die Hand schütteln. Nun passiert dem Fremden etwas Schlimmes. Hunderte, ja tausende von Leuten beschwören: Rechtsanwalt Appelbaum muß den Mann kennen, denn er ist mit ihm plaudernd zusammengegangen und hat ihm zum Abschied noch die Hand gereicht. Und doch ist mir nicht einmal der Name des Fremden bekannt. Der Angeklagte kannte jedenfalls Winter vom Ansehen, er wußte, daß er Gymnasiast ist, aber seinen Namen kannte er nicht. Da doch hier zum mindesten Zweifel über die Schuld des Angeklagten obwalten, so gebe ich mich der festen Überzeugung hin, Sie werden die Schuldfragen verneinen. – Verteidiger Rechtsanwalt Sonnenfeld (Berlin): Meine Herren Geschworenen! Der Herr Erste Staatsanwalt ist sehr richtig auf das Motiv eingegangen: daß, wenn der Angeklagte einen Meineid geschworen, er diesen aus Furcht, wegen Mordes verfolgt zu werden, geleistet hat, das ist sicher. Es genügt, wenn jemand eine, wenn auch vollständig grundlose Befürchtung hat. Aber nachdem ihn der Kriminalkommissar Wehn eindringlich ermahnt hat, wenn es wahr
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/138&oldid=- (Version vom 18.2.2023)