Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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sein, wenn nachgewiesen sei, daß Winter seit der Mittagsmahlzeit nichts mehr gegessen habe. Überhaupt lassen sich bei der Eigenart des Falles vollkommen sichere Behauptungen gar nicht aufstellen, sondern nur Wahrscheinlichkeitsdiagnosen, weil einige der wichtigsten Körperteile, wie Magen, Leber, Milz und Gedärme fehlen. Der Schnitt in das Zwerchfell sei durch die Absicht, die Leber zu entfernen, auf das Natürlichste zu erklären. – Gerichtsarzt, Privatdozent Dr. Puppe (Berlin): Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Tod durch Erstickung eingetreten sei, den Tod durch Verblutung halte er für ausgeschlossen. Auffallend sei, obwohl die Leichenteile so lange im Wasser und alsdann in Spiritus gelegen haben, der immer noch große Bestand an Blut in sämtlichen Geweben. Er sei auch der Ansicht, daß der Tod zwischen 1 bis 7 Uhr nachmittags erfolgt sei. – Eine Anzahl Nachbarn und Bewohner des Lewyschen Hauses bekundeten: Sie seien am Sonntag, den 11. März, den ganzen Nachmittag zu Hause gewesen und haben nichts Auffälliges wahrgenommen. Ein Stöhnen und Winseln hätten sie zweifellos gehört. Alle diese Zeugen bekundeten, daß sie Ernst Winter niemals im Lewyschen Hause gesehen haben. – Fleischermeister Adolf Lewy bekundete: Wenn ihm am 11. März ein Stück Fleisch von 5 bis 6 Pfund abhanden gekommen wäre, dann hätte er es zweifellos gemerkt, es sei ihm aber bestimmt kein Stück Fleisch abhanden gekommen. Maßloff hatte nämlich behauptet, er habe an jenem Abend in dem Lewyschen Hofe nicht nur Beobachtungen gemacht, sondern auch ein Stück Fleisch gestohlen. – Es verdient erwähnt zu werden, daß der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Schwedowitz zu sämtlichen jüdischen Zeugen sagte: Sie seien berechtigt, ihre Aussage zu verweigern, wenn sie befürchteten, sich dadurch einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Christlichen Zeugen wurde diese Vorhaltung nicht gemacht. Sehr eingehend wurde über das Alibi des Fleischermeisters Adolf Lewy am Nachmittag
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/102&oldid=- (Version vom 2.2.2023)