Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
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langatmige Geschichte, aus der hervorzugehen schien, daß der Angeklagte ihr die Ehe versprochen habe. Er habe eines Tages auch von ihr erfahren, daß sie wegen großer Schlaflosigkeit und Nervosität von Zeit zu Zeit zu Professor Mendel gehe und von diesem Schlafpulver erhalte. Gönczi, der ihr seinen Namen genannt, habe sich sehr lebhaft danach erkundigt, wie die Wirkung eines solchen Schlafpulvers sei, er habe, als sie ihm erzählte, daß sie einmal überfallen worden sei, sich genau nach den Einzelheiten erkundigt und als er hörte, daß sie eine Erbschaft zu erwarten habe, ganz genau sich orientiert, wie hoch sie sei und wann sie angetreten werden könnte. Der Schlußeffekt der Erzählung, die der Angeklagte mit heiterem Gesichte anhörte, ging dahin, daß die Zeugin schließlich den Verkehr mit Gönczi aufgegeben habe, weil sie es doch für richtiger hielt, sich nicht wieder zu verheiraten. – Gönczi erklärte unter schallender Heiterkeit des Publikums: Ich kenne die Frau überhaupt nicht! – Bremser Kiersche: Er wohnte im Hause Mühlenstraße 7 und kannte Gönczi und dessen Frau. Er sah sie beide am 18. August 1897 abends vor dem Laden stehen, als er in den Dienst ging, um von Frankfurt a. O. aus einen Güterzug zu begleiten. Zu seinem größten Erstaunen habe er um 2 Uhr nachts, also vier Stunden später, Gönczi und dessen Frau auf dem Bahnsteig in Frankfurt a. O. stehen sehen. Er sei auf Gönczi zugegangen; dieser sei aber schnell in den Wartesaal gelaufen. Hier habe er ihn später aufgesucht. Gönczi habe aber so getan, als kenne er ihn nicht. Erst als Frau Gönczi zu ihm gesagt habe: Das ist ja unser Nachbar, der Herr Kiersche! habe Gönczi langsam gesagt: Ach so, guten Abend, Herr Kiersche. – Vors.: Ist Ihnen das nicht aufgefallen? – Zeuge: Ja, ich erklärte mir sein Verhalten damit, daß er „gerückt“ wäre, weil er seine Miete nicht zahlen konnte. Gönczi hat sich noch bis gegen 6 Uhr morgens in Frankfurt (Oder) aufgehalten und ist über Kottbus abgefahren. – Den Bahnhofsportier Lehmann hat der Angeklagte nach dem schnellsten Zuge nach Brüssel
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/75&oldid=- (Version vom 31.7.2018)