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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 2 (1911).djvu/315

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

die Aussagen der Zeugen vor dem Untersuchungsrichter, die Verteidigung nicht. Das sind keine gleichen Waffen.

Kriminalkommissar Thiel hat sich als ein Opfer hingestellt, das für seine Mitteilungen einen kargen Lohn erhalten hat. Es sind doch immerhin 8000 M. gewesen. Es scheint sogar, als habe Luppa seinen Auftraggeber gehörig übers Ohr gehauen. Was hat denn Justizrat Dr. Sello eigentlich getan? Thiel ist zu ihm gekommen und hat ihm offenbart, was er in der Sternbergschen Sache getan. Dr. Sello hat ihm erklärt, daß das, was er bisher getan, noch nicht strafbar sei. Es ist aber etwas höchst Gefährliches, was er vorhabe, und er rate ihm mit aller Entschiedenheit, seine Finger davon zu lassen. Mußte Dr. Sello nun nicht aufs höchste überrascht sein, als er nach einem Zeitraum von beinahe vier Monaten, während er nichts von Thiel gesehen oder gehört hatte, erfahren mußte, daß sein Rat nicht befolgt worden war? Sollte er deswegen den Angeklagten, dessen Akten er genau kannte, ohne Verteidigung lassen? Ich kann etwas Tadelnswertes in dem Verhalten des Justizrats Dr. Sello nicht erblicken.

Der Gerichtshof hat den Menschen zu beurteilen, seine Moral kann man verdammen, aber ich hoffe, daß der Gerichtshof bei Prüfung der Frage, ob Sternberg der ihm zur Last gelegten Straftaten überführt sei, zu einem „Nein“ kommen wird. In dem Schmutz, in dem die Callis, die Schnörwange und die Ehlert lebten, ist nichts mehr zu verderben, verderben kann nur der, der da hinuntersteigt. Die Einbuße, die der Moral dadurch zugefügt wird, würde das deutsche Volk leicht verwinden, es würde aber nicht überwinden, wenn es sich nicht mehr darauf verlassen könnte, daß Gerechtigkeit das Fundament des Staatslebens ist.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Heinemann (für die Wender) wies darauf hin, daß die Wender zur Zeit der Tat kaum 18 Jahre alt war und im Höchstfalle der Beihilfe für schuldig befunden werden könne. Nach den Bekundungen der Fischer habe die Wender weiter nichts getan, als die Mädchen zu Sternberg

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/315&oldid=- (Version vom 31.7.2018)