Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
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geglaubt, daß die Staatsanwaltschaft wegen des Falles Teichert Zuchthaus beantragen würde, selbst wenn man in diesem Falle die Schuld des Angeklagten für erwiesen erachtet. Wie kann man einem Angeklagten mildernde Umstände versagen, bloß weil er in einem Falle seine Verteidigung so geführt hat, daß sie Mißfallen erregte? Sternberg hat von vornherein erklärt, daß die ganze Geschichte bezüglich der Zusammenkünfte mit der Frida Woyda aus den Fingern gesogen sei. Das Mädchen hat dies auch in der gegenwärtigen Verhandlung zugegeben. In der sechswöchentlichen Verhandlung ist Frida Woyda trotz der eindringlichsten Verwarnungen seitens des Vorsitzenden, des Staatsanwalts, des Vormundes, der Pflegemutter usw. bei ihrer entlastenden Aussage geblieben. Welche Beweise liegen überhaupt vor, daß Sternberg Mädchen unter 14 Jahren mißbraucht hat? Man darf doch nicht mit bloßen Vermutungen rechnen. Die Zeugin Fischer hat bekundet: Sie habe nur wenige Mädchen gesehen, die Sternberg besuchten, die sie aber gesehen habe, seien über 14 Jahre alt gewesen. Es ist gewiß sehr bedauerlich und vom Standpunkte der Moral nicht zu billigen, wenn ein Mann Neigung für 15- bis 16jährige Mädchen hat. Aber nach dem Gesetz ist es nicht strafbar. Möge man doch bedenken, daß Sternberg auf diesem Gebiete kein Neuling ist. Schon zweimal hatte er sich die Finger verbrannt. Sternberg ist ein Mann, der ganz genau wußte, wie weit er zu gehen hat. Schon in den früheren Verhandlungen ist zur Sprache gekommen, daß Sternberg Mädchen wieder fortschickte, wenn er nur Verdacht hatte, daß sie unter 14 Jahren seien. Der Verteidiger beleuchtete im weiteren die einzelnen Aussagen der Frida Woyda und fuhr alsdann fort: Die Aussagen eines Kindes, das solche Geschichten erzählt, kann man unmöglich für ausreichend erachten, um drei Menschen zu verurteilen. In der ersten Verhandlung hat das Kind alle möglichen Einzelheiten erzählt über die Gewalt, die gegen sie angewendet worden sei. Die Sachverständigen haben bekundet, daß diese
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/313&oldid=- (Version vom 1.8.2018)