Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
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Menschen ansehen können und sich im Notfalle immer damit zu helfen gesucht, daß sie sagte: Das weiß ich nicht! Wenn jetzt wirklich Reue bei ihr vorläge, dann würde dies doch dahin führen müssen, daß ein plausibler Grund für ihre früheren Lügen vorhanden sein müßte. Sie sagt: Stierstädter habe es ihr eingeredet. Diese Behauptung liegt in demselben scheußlichen System, in der Art, wie Stierstädter hier angegriffen worden ist. Nachdem feststand, daß Frida Woyda ihre Aussage abänderte, mußte man nach einem Grunde suchen, weshalb sie es tat. Nur über die Leiche Stierstädters konnte der Weg gehen zu den Hintertüren, durch welche man den Beweis erbringen wollte, daß das Mädchen früher die Unwahrheit und jetzt die Wahrheit sage. Was hat man nicht alles gegen Herrn Stierstädter vorgebracht und was ist von alledem an Herrn Stierstädter hängen geblieben?
Stierstädter soll beim Militär als Schwindler bekannt gewesen und wegen Gehorsamsverweigerung entlassen worden sein. Keines von beiden ist wahr. Der Zeuge Telegraphen-Assistent Schulz hat bekundet, daß Stierstädter ein zuverlässiger, braver Soldat war und in Ehren aus dem Militärdienste ausgeschieden ist. Und nun soll Stierstädter mit dem Fräulein Pfeffer, wie die Verteidigung behauptet, ein scheußliches Komplott geschmiedet haben. Er soll Geschenke von ihr angenommen haben. Nichts davon ist erwiesen! Einen alten Regulator hat Stierstädter für wenig Geld von Fräulein Pfeffer erstanden; das ist alles! Wenn Sternberg eine ganze Einrichtung für eine Villa verschenken kann, dann kann der Regulator wohl kaum in Betracht kommen. Die verschiedenen Begegnungen, die Stierstädter mit Personen gehabt hat, die in diesem Prozesse eine Rolle spielten, werden von der Verteidigung als berechnet und vorbereitet hingestellt. Nein, Zufall war es und wenn Stierstädter es sagt, so glaube ich ihm. Er hat sich als ein Mann gezeigt, der durch keine Verlockungen, weder durch eine Villa am Genfer See, noch durch andere Versprechungen vom Wege der Pflicht abzubringen war. Allerdings,
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/298&oldid=- (Version vom 31.7.2018)