Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
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der Aufenthalt Kneißls in Geisenhofen verraten. Eine große Anzahl Gendarmen, sowie Kriminalbeamte und Schutzleute umzingelten das Haus. Sie wagten aber nicht, das Haus zu betreten, da sie wußten‚ daß Kneißl sie mit Gewehrfeuer empfangen würde. Sie beschossen daher das Haus. Als sie hörten, daß Kneißl schwer verwundet war, drangen sie ein und nahmen den gefährlichen Räuber fest. Kneißl‚ der einen Schuß in den Unterleib erhalten hatte, mußte zunächst ins Krankenhaus gebracht werden, in dem er monatelang mit dem Tode rang. Infolge der kräftigen Natur des Räubers gelang jedoch den Ärzten seine Wiederherstellung. Kneißl hatte sich vom 14. bis 19. November 1901 vor dem Schwurgericht zu Augsburg wegen zweier Mordtaten‚ versuchten Totschlags, sowie wegen schweren Raubes und räuberischer Erpressung zu verantworten. Neben ihm mußte Fleckelbauer Rieger wegen Beihilfe zum Morde auf der Anklagebank Platz nehmen. Die Anklagebehörde hatte angenommen: Rieger habe die Gendarmerie von der Anwesenheit Kneißls in seiner Wohnung benachrichtigen lassen, um Kneißl Gelegenheit zu geben, die Gendarmen zu erschießen. Den Vorsitz des Schwurgerichts führte Oberlandesgerichtsrat Rebholz. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Farnbecher. Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Dr. v. Pannwitz (München) für Kneißl und Rechtsanwalt Prechtl (Augsburg) für Rieger. Die Verhandlung wurde‚ erklärlicherweise in ganz Bayern mit größter Spannung verfolgt. Zahlreiche Gendarmen und Schutzleute waren aufgeboten, um ein Entweichen des kühnen Räubers zu verhindern. Obwohl am ersten Verhandlungstage ein feiner Regen herniederrieselte und es bei Beginn der Sitzung gegen 8 Uhr morgens noch fast dunkel war, drang doch eine ungeheure Menschenmenge in den Zuhörerraum des Schwurgerichtssaales. Kneißl‚ dem an Händen und Füßen eiserne Ketten angelegt waren, machte keineswegs den Eindruck eines zweiten bayrischen Hiesel. Er war nicht unschön zu nennen. Er war mittelgroß, schlank, erdfahl im Gesicht und hatte einen
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/210&oldid=- (Version vom 31.7.2018)