Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
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Lake gesprochen? – Zeugin: Jawohl, es wurde bei uns sehr viel über den Mord gesprochen. Mein Bruder hat vielfach über den Mord aus der Zeitung vorgelesen. Er sagte einmal: Der Verbrecher wird wohl niemals entdeckt werden. Es muß ein Mensch aus den höheren Gesellschaftskreisen, vielleicht ein Offizier gewesen sein. – Vors.: Halten Sie Ihren Bruder für fähig, einen Mord zu begehen? – Zeugin: Durchaus nicht. – Der Verteidiger verlas darauf einen vom Angeklagten aus dem Untersuchungsgefängnis gerichteten Brief, in dem es hieß: „Wenn man sechs Wochen unter die Tollhäusler gesteckt wird, dann muß man schließlich verrückt werden. Ich möchte mir am liebsten das Leben nehmen. Ich tröste mich aber mit unserem Herrn und Heiland, der einen so furchtbaren Tod und dazu noch unschuldig erleiden mußte.“ – Vors.: Halten Sie Ihren Bruder für geistig gesund? – Zeugin: Ich habe niemals wahrgenommen, daß mein Bruder geistesgestört ist. – Während der ganzen Vernehmung der Zeugin senkte der Angeklagte seinen Kopf zur Erde und weinte heftig.
Alsdann wurden mehrere Bureaubeamte vernommen, die mit dem Angeklagten im Kohlensyndikat auch nach dem Morde zusammengearbeitet haben. Diese haben amtlich an dem Angeklagten nichts Auffallendes wahrgenommen. Sie haben auch den Angeklagten in keiner Weise im Verdacht gehabt, daß er die Miß Lake ermordet habe.
Ein Mann, namens Ziegler, bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei Mitglied des Guttemplerordens gewesen. Ein Mann, namens Stein, sei Vorsitzender, der Angeklagte, der auch Mitglied war, sei Schriftführer gewesen. Er (Zeuge) sei aus dem Guttemplerorden ausgetreten und habe sich einer anderen antialkoholischen Gesellschaft angeschlossen, weil er sich vor Stein fürchtete. Stein habe gedroht, ihm seine Existenz zu untergraben und ihn wegen eines Notzuchtverbrechens anzuzeigen. Stein habe sogar eine Strafanzeige wegen Notzucht gegen ihn im Verein vorgebracht, obwohl er niemals ein solches Verbrechen begangen habe. Er habe vor Stein geradezu
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/144&oldid=- (Version vom 1.8.2018)