Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2 | |
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es war daher nicht anzunehmen, daß ein Mord aus Rache vorlag. Es wurden mehrere verdächtige Leute verhaftet, aber alle sehr bald wieder freigelassen, da sich keinerlei Anhalt für deren Täterschaft ergab. In der Nacht vom 9. zum 10. Februar 1907 trat in der Brandstraße in Essen ein gut gekleideter junger Mann an einen Schutzmann heran mit der Aufforderung, ihn zu verhaften. Er habe am Abend des 1. Oktober 1906 die Engländerin Miß Lake im Essener Stadtwalde ermordet. Der Beamte glaubte zunächst, es mit einem Irrsinnigen zu tun zu haben. Da der junge Mann aber einen sehr ruhigen Eindruck machte und seine Selbstbezichtigung wiederholte, führte ihn der Schutzmann zur nächsten Polizeiwache. Dort gab der junge Mann folgendes zu Protokoll: Er heiße Alfred Land. Seit 11/2 Jahren sei er auf dem Essener Kohlensyndikat als Bureaubeamter beschäftigt gewesen. Am Abend des 1. Oktober 1906 sei er in der Nähe des Stadtwaldes spazieren gegangen. Da sei er zwei gleichaltrigen jungen Leuten begegnet. Er habe sich diesen angeschlossen. Plötzlich haben sie die Miß Lake getroffen. Sie beschlossen, die Dame zu notzüchtigen. Da sich die Dame aber heftig sträubte, so haben sie sie gewaltsam ins Gebüsch geschleppt, und um sie am Schreien zu verhindern, ihr den Hals zugedrückt. Plötzlich haben sie gesehen, daß die Dame tot war. Sie seien darauf davongelaufen und sich gegenseitig das Versprechen gegeben, sich nicht zu verraten. Ende Dezember 1906 haben sie beschlossen, um einer etwaigen Verhaftung zu entgehen, nach Belgien auszuwandern. Er (Land) habe in Brüssel eine Stellung als Kellner angenommen. Seine beiden Begleiter, von denen er nur wisse, daß sie mit Vornamen Karl und Heinrich heißen, habe er sehr bald gänzlich aus dem Auge verloren. Er habe von ihrem Verbleiben keine Ahnung. Sein Gewissen habe ihm keine Ruhe gelassen, er sei deshalb zurückgekommen, um die furchtbare Tat, die er begangen, zu sühnen. Es wurde selbstverständlich der Geisteszustand des jungen Mannes in Zweifel gezogen. Obwohl der Essener Gerichtsarzt
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/128&oldid=- (Version vom 31.7.2018)