Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10 | |
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in vorher bestellten Autodroschken nach dem Tatort. Auch die Angeklagte, begleitet von der Gefangenenaufseherin, den Gerichtsdienern Hermann Emmerich und Albert Böhme, wurde in einer Autodroschke nach dem Tatort transportiert. Eine ungeheure Menschenmenge hatte sich vor dem Gerichtsgebäude eingefunden. Die Angeklagte bestieg das Auto mit lachendem Gesicht, nicht als ob es sich um eine Fahrt handelte, wo unter Umständen über ihr Lebensschicksal entschieden werden sollte, sondern als ob sie eine Spazierfahrt antreten würde. Die Angeklagte zeigte sehr bald den Ort des verhängnisvollen Rendezvous, das zwischen zwei Bäumen stattgefunden habe. Sie bemerkte: Es sei sehr leicht möglich, daß sie nach dem Ringen mit Reimann, der ihr den Revolver entreißen wollte, zur Erde gestürzt sei; sie wisse sich aber nicht mehr darauf zu erinnern. – Vors.: Das ist ja möglich. – Angekl. (in erregtem Tone): Ich weiß nicht, weshalb man mir das nicht glaubt. – Vors.: Die Möglichkeit ist von niemandem bestritten worden. – Die letzten drei Zeugen wurden darauf vom Vorsitzenden ersucht, sich auf die Stelle zu begeben, von der aus sie die Schüsse gehört haben. – Gerichtsdiener Böhme werde, von Sekunden unterbrochen, mit einer schrillen Pfeife drei Pfiffe abgeben. Alsdann sollten sie in schnellem Trabe, wie sie es an jenem Abend getan, an den Tatort eilen. Dieses Experiment wurde zweimal vorgenommen, die Zeugen kamen aber beide Male etwa 30 Sekunden nach dem letzten Pfiff. – Die Angeklagte wiederholte, daß, als sie den Revolver zog, um sich zu erschießen, Reimann sich auf sie stürzte und ihr mit Gewalt den Revolver zu entreißen suchte. Es kam zu einem gewaltsamen Ringen. Bei dieser Gelegenheit müsse sich entweder die Waffe entladen haben und zwei Schüsse in den Hinterkopf des Reimann gedrungen sein, oder Reimann habe ihr die Waffe entwunden und sich selbst erschossen. Als sie sah, daß Reimann am Boden lag, habe sie die Waffe gegen ihre Schläfe gerichtet, sie habe aber leider nur ihren
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/238&oldid=- (Version vom 19.2.2023)