Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10 | |
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der furchtbar eifersüchtig war, habe ihr deshalb die heftigsten Vorwürfe gemacht, sie beschimpft und ihr gedroht, von dem Verhältnis dem Chef Mitteilung zu machen. Sie habe alles mögliche aufbieten müssen, um den stürmischen Jüngling zu beruhigen. Er habe sie aber auf Schritt und Tritt verfolgt und, als sie eines Abends mehrere Stunden in der Wohnung des Dr. Sternberg zugebracht hatte, habe sie Reimann unten erwartet, sie wieder von neuem beschimpft und ihr Vorwürfe gemacht. Sie hatte aus Anlaß des Verhaltens von Reimann, der sonst ein sehr netter Junge war, den Entschluß gefaßt, sich das Leben zu nehmen. Sie hatte sich deshalb einige Tage vor dieser Begebenheit bei Wertheim in der Leipziger Straße einen Revolver gekauft. Als Reimann im Tiergarten wiederum Zank anfing, habe sie den Entschluß gefaßt, ihrem Leben ein Ende zu machen. Sie habe den Revolver aus der Tasche gezogen. Als Reimann dies gesehen, habe er ihr die Waffe mit Gewalt entrissen. Dadurch müsse entweder ein Schuß losgegangen und dem Reimann in den Kopf gedrungen sein, oder Reimann habe sich selbst erschossen. Genau wisse sie das nicht, sie sei in solcher Aufregung gewesen, daß ihr der ganze Vorgang nur noch dunkel in Erinnerung sei; sie hätte fast das Bewußtsein verloren gehabt. – Vors.: Es ist Ihnen doch bekannt, Angeklagte, daß Reimann zwei Schüsse im Hinterkopf hatte, die, wie die Sachverständigen begutachten, ihm von fremder Hand beigebracht sein müssen. – Angekl.: Ich habe jedenfalls Reimann nicht erschossen. – Vors.: Die Angeklagte hat auf Veranlassung des Untersuchungsrichters ihre Lebensgeschichte und auch das Vorkommnis vom 7. März 1913 in ausführlicher Weise geschildert. Da das Schriftstück ein Charakterbild der Angeklagten veranschaulicht, werde ich es, soweit es in öffentlicher Sitzung zulässig ist, zur Verlesung bringen. Das Schriftstück lautet: „Ich Hedwig Lucie Marie Müller bin am 4. April 1893 geboren. Mein Vater war Architekt. Auf meine erste Kindheit, bis etwa zum
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/208&oldid=- (Version vom 14.2.2023)