haben. Ich habe eine Woche dafür angesetzt, zu meinem Bedauern habe ich mich aber doch noch geirrt. Es ist unmöglich, daß wir am Sonnabend fertig werden. Wir werden daher genöthigt sein, obwohl am Sonntag keine Gerichtssitzung stattfinden soll, am Sonntag zu verhandeln. Wir halten nämlich dafür, daß eine Nothlage vorliegt.
Mehrere Geschworene erheben Bedenken, am Sonntag zu verhandeln, der Präsident bemerkt jedoch, daß nach Lage der Dinge sich dies nicht anders werde thun lassen.
Er erscheint alsdann der Zeuge Gendarm Leu (Xanten). Als am Abende des Peter-Paulstages der Mord in Xanten bekannt wurde, sei er zunächst an den Thatort geeilt. Er habe ziemlich viel Blut vorgefunden, das zum Theil fingerdick auf den Erdboden unter das Stroh gesickert war. Küppers sagte: Es ist eigenthümlich, wie die Leiche hier herein kommen konnte, da beide Thüren verschlossen waren, die Leiche könne höchstens von der Gartenseite aus in die Scheune geschafft worden sein. Abends sei er in die Gastwirthschaft von Schaut gegangen und dort sei von den verschiedensten Seiten gesagt worden: Das ist ein Ritualmord, den haben die Juden gethan, es ist das eine alte rituelle Vorschrift. Die Leute zeigten dabei auf die in der Nähe liegenden jüdischen Läden.
Der Zeuge bekundet im Weiteren, daß Gerichtsassessor Buchwald die Fußspuren im Gartenweg gemessen habe.
Verth. Rechtsanwalt Fleischhauer: Sind Sie der Meinung, daß die Fußspuren die des Mörders waren?
Zeuge: Das kann ich nicht sagen.
Präs.: Herr Rechtsanwalt, wir können doch die Zeugen nicht alle über ihre Vermuthungen vernehmen, wir wären sonst genöthigt, mehrere Monate hier zu sitzen. Es ist anzunehmen, daß jeder einzelne Mensch in Xanten und vielleicht im weiten Umkreise Xantens über den Mord eine eigene Vermuthung hat. Ich erhalte jeden Tag einen ganzen Stoß von anonymen Briefen, in denen die verschiedensten Vermuthungen ausgesprochen werden.
Die Vertheidiger bemerken, daß sie ebenfalls täglich eine Reihe solcher Schreiben erhalten.
Der folgende Zeuge ist der Polizei-Sergeant Aengeneyndt: Er habe am Peter-Paulstage gegen 10 Uhr Vormittags vor dem Clever Thore die Kinder gesehen, er habe dieselben aber nicht gekannt. – Vertheidiger Rechtsanwalt Stapper: Herr Zeuge, Sie sind
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/46&oldid=- (Version vom 31.7.2018)