mit derselben Bestimmtheit kann ich sagen: im Talmud steht nichts vom Ritualmord“. Sie haben ferner gehört, daß Herr Professor Dr. Nöldecke die immer wiederkehrende Behauptung, daß den Juden der Ritualmord geboten sei, als frivol bezeichnet. Sie haben ferner von Herrn Professor Dr. Nöldecke gehört, daß der katholische Professor Dr. Bickel an der Universität zu Innsbruck, indem er die Abgabe eines Gutachtens über den Ritualmord ablehnte, letzteren als Schwindel bezeichnete.
Ich erinnere Sie im Weiteren daran, daß Herr Prof. Dr. Nöldecke eine Reihe hervorragender Orientalisten, wie den Geheimen Regierungsrath Professor Dr. de Lagarde u. s. w. nannte, die sich in derselben Weise wie er über den Ritualmord ausgesprochen haben.
Sie haben endlich von Herrn Professor Dr. Nöldecke gehört, daß der Talmud nicht blos den Blutgenuß an sich verbietet, sondern sogar vorschreibt, selbst den Schein zu vermeiden, als ob man Blut genieße. Professor Dr. Delitzsch hat begutachtet, daß weder im Sohar noch im Sefer Halkutim etwas von einem Ritualmorde enthalten sei.
Ich muß nun hervorheben, daß kein Zeuge dem Buschhoff ein anderes Motiv als den Ritualmord untergeschoben hat. Es ist uns allerdings von berufener Seite gesagt worden, zur Aufrechterhaltung der Anklage bedarf es keines Motivs. Bei einem Spitzbuben, einem Raufbold mag wohl dieser Grundsatz mit Recht zur Anwendung gelangen, allein wenn man einen Mann wie den Angeklagten Buschhoff eines so schweren Verbrechens wie des vorliegenden beschuldigt, dann entsteht doch unwillkürlich die Frage: was ist wohl die Ursache des Verbrechens? Das von dem Kriminalkommissar Wolff vermuthete Motiv ist schon aus psychologischen Gründen zu verwerfen. Es ist einmal undenkbar, daß der Angeklagte den Knaben geschlagen und um zu verhüten, daß dies herauskomme, den Knaben ermordet hat, und andererseits ist nicht anzunehmen, daß der Knabe, wenn er mißhandelt worden, sprach- und willenlos geworden wäre, sondern er hätte zweifellos geschrien und geweint.
Dieser Ansicht ist auch der Herr Geheimrath Pellmann. Niemand aber hat den Knaben weinen oder schreien gehört. Ich erachte es für überflüssig, nochmals auf den objektiven Thatbestand einzugehen. Der Angeklagte hat nicht blos in der überzeugendsten Weise sein Alibi nachgewiesen, es ist ihm selbst von seinen erbittertsten Feinden das Zeugniß
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/145&oldid=- (Version vom 31.7.2018)