Mordes war, daß vielmehr anzunehmen ist, der Halsschnitt sei mit einem Brodmesser ausgeführt worden.
Hätte Herr Kreisphysikus Dr. Bauer sein Gutachten nicht abgegeben, dann wären Sie höchstwahrscheinlich mit der Angelegenheit nicht beschäftigt worden, denn das Gutachten des Dr. Bauer war die Hauptursache, daß die Anklage erhoben wurde. Aber noch ein anderes Moment ist es, das ich beleuchten muß, da es ebenfalls einen Theil der Verhandlung gebildet hat, es ist dies das immer wieder auftauchende Märchen: die Juden brauchen zu Heil- oder rituellen Zwecken Christenblut. Es ist Ihnen bekannt, daß die Bevölkerung in Xanten, höchstwahrscheinlich veranlaßt durch das Gutachten der Herren Dr. Steiner und van Housen, sofort die Behauptung aufstellte: es ist ein Ritualmord begangen worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieses Gerücht das Haupthemmniß für eine erfolgreiche Thätigkeit bildete, die Sache zu klären. Als wir hörten, daß die Anklage erhoben worden sei, da war ich mit meinen Kollegen der Ueberzeugung, daß die Staatsanwaltschaft nicht den Volksaberglauben des Blutmärchens theile, sondern daß sie andere Gründe für die Erhebung der Anklage habe. Für die Staatsanwaltschaft war, davon waren wir von vornherein überzeugt, ein wissenschaftliches Gutachten über den Ritualmord nicht erforderlich. Allein Sie haben gesehen, m. H., daß im Hintergrunde der Zeugenaussagen der Ritualmord stand. Man konnte es dem Zeugen Mallmann nachfühlen, daß er im Herzen die Ueberzeugung von dem Ritualmorde hatte und aus diesem Grunde den Buschhoff für den Thäter hielt. Das angebliche Fehlen des Blutes bei der Leiche und der angebliche Schächtschnitt war die Veranlassung, daß dieser alte Volksaberglaube auftauchen konnte. Das Märchen ist so thöricht, daß ich kurz darüber hinweggehen könnte, wenn ich nicht wüßte, daß dasselbe in den Köpfen der unwissenden Bevölkerung spukt und zu politischen Parteizwecken genährt wird. Wenn man uns Christen vorwerfen würde: wir brauchen das Blut Andersgläubiger und müssen daher Morde begehen, dann würde ich antworten: In unseren Grundgesetzen, in den zehn Geboten, steht: „Du sollst nicht tödten“. Damit ist eigentlich die ganze Beschuldigung widerlegt.
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß wir Christen die Zehngebote erst seit 1900 Jahren unser eigen nennen, während die Juden die Zehngebote seit über 3000 Jahren haben.
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/143&oldid=- (Version vom 31.7.2018)