Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34 | |
|
von Mariazell und St. Lambert, der die Wunderheilung schildert, vom 12. September 1677, also nur wenige Tage später datiert. Die Tätigkeit des Redakteurs oder Kompilators P. A. E. hat eine Einleitung geliefert, welche die beiden Aktenstücke gleichsam verschmilzt, ferner einige wenig bedeutsame Verbindungsstücke und am Schluß einen Bericht über die weiteren Schicksale des Malers nach einer im Jahre 1714 eingeholten Erkundigung beigefügt[1].
Die Vorgeschichte des Malers wird also im Trophaeum dreimal erzählt, 1. im Geleitbrief des Pfarrers von Pottenbrunn, 2. im feierlichen Bericht des Abtes Franciscus und 3. in der Einleitung des Redakteurs. Beim Vergleich dieser drei Quellen stellen sich gewisse Unstimmigkeiten heraus, die zu verfolgen nicht unwichtig sein wird.
Ich kann jetzt die Geschichte des Malers fortsetzen. Nachdem er in Mariazell lange gebüßt und gebetet, erhält er am 8. September, dem Tag Maria Geburt, um die zwölfte Nachtstunde vom Teufel, der in der heiligen Kapelle als geflügelter Drache erscheint, den mit Blut geschriebenen Pakt zurück. Wir werden später zu unserem Befremden erfahren, daß in der Geschichte des Malers Chr. Haitzmann zwei Verschreibungen an den Teufel vorkommen, eine frühere, mit schwarzer Tinte und eine spätere, mit Blut geschriebene. In der mitgeteilten Beschwörungsszene handelt es sich, wie auch noch das Bild auf dem Titelblatt erkennen läßt, um die blutige, also um die spätere.
An dieser Stelle könnte sich bei uns ein Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der geistlichen Berichterstatter erheben, das uns mahnen würde, doch nicht unsere Arbeit an ein Produkt mönchischen Aberglaubens zu verschwenden. Es wird erzählt, daß mehrere, mit Namen benannte Geistliche dem Exorzierten während der ganzen Zeit Beistand leisteten und auch während der Teufelserscheinung in der Kapelle anwesend waren. Wenn behauptet würde, daß auch sie den teuflichen Drachen gesehen haben, wie er dem Maler den rot beschriebenen Zettel hinhält (Schedam sibi porrigentem conspexisset), so stünden
- ↑ Dies würde dafür sprechen, daß 1714, auch das Datum der Abfassung des Trophaeum ist.
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)