,,So eben ist ein Kourier durch die Stadt gekommen“ —
Hören Sie meine Herren! „Ein Kourier“, wendet sich der Hausherr zu der Gesellschaft. — „Ja, ein Kourier mit den wichtigsten Neuigkeiten; ich weiß aber nicht, ob ich sie mittheilen darf.“ —
Nach langem Widerstreben theilt er sie doch, und zwar unter vielleicht zehnmal vier Augen, mit. Entweder sind das dritte oder vierte Armeekorps plötzlich mobil gemacht worden, oder in Paris ist eine furchtbare Revolution ausgebrochen, oder man hat den Sultan strangulirt, oder England hat an Frankreich den Krieg erklärt, oder das Haus Rothschild steht auf dem Punkte Bankerott zu machen, oder der Kaiser von Rußland ist, man weiß nicht woran, gestorben, oder alle diese schrecklichen Ereignisse sind plötzlich wie im Umsehen, mit einander eingetroffen.
Aber der Neuigkeitskrämer muß auch um das Kleinste wissen, wenn er seinen Beruf erfüllen will, z. B. daß der junge Assessor Flaus mit der alten Generalswittwe Klaus sich verlobt hat, daß Herr und Madame Plack in der Ehescheidung begriffen sind, daß der Doktor Bär ein armes Mädchen aus niederm Stande heirathen wird, worauf alle Damen, zumal die jungen einverstanden sind, daß die anständige Societät ihm den Rücken kehren müsse; er erzählt ferner, daß man vor einer Stunde einen weiblichen Leichnam aus dem Wasser zog, daß in der Hafenstraße so eben ein verdächtiger Schuß gefallen ist, daß ein bekannter Professor sich endlich einmal mit neuer Garderobe versehen hat, daß ein Pferd durchgegangen und noch nicht wieder eingefangen ist, daß die Stadtgräben gereinigt werden sollen, u. s. w.
Auch die Berichte über den Erfolg des jüngsten Theaterstücks oder Concerts, über alle Arten öffentlicher Darstellungen und Leistungen gehören in sein Bereich.
Eine interessante Seitenart des Neuigkeitskrämers ist:
der es in der Regel nicht mit so großartigen und entschiedenen Thatsachen wie der Neuigkeitskrämer zu thun hat, sich auch für gewöhnlich nicht an die gesammte Gesellschaft wendet, sondern bald da bald dort irgend ein männliches oder weibliches Mitglied derselben in sein Geheimniß zieht, so aber doch auch allmählig zur Unterhaltung Aller beiträgt. Seine Geheimnisse beruhen entweder auf gar nichts oder nur auf einer Vermuthung, und da sie meist auf Personen der Gesellschaft Bezug haben, hat er allerdings keine Veranlassung, sie anders als unter vier Augen mitzutheilen.
Er wendet sich, z. B., mit äußerst geheimnisvoller Miene an den Herrn A:
„Wissen Sie schon?“ beginnt er. —
,,Nun, was?“ —
„Ja, es ist zu merkwürdig! Man sollte es nicht glauben; ich mag es auch gar nicht erzählen, Sie müßten mir denn versprechen, aber hören Sie, auf Ihr Ehrenwort versprechen, Niemand etwas wieder zu sagen, denn Sie begreifen, daß es mir die größte Verlegenheit bereiten könnte; es ist zu merkwürdig.“
Herr A. verbürgt durch sein Ehrenwort seine Verschwiegenheit.
„Aber es ist zu merkwürdig", versichert der Geheimnißvolle, „man hätte es von dem Herrn Rath B., der als so solid bekannt und seit Jahren verheirathet, ja bereits Vater mehrerer Kinder ist, nicht erwarten sollen, es ist wirklich zu merkwürdig, man kann es geradezu schlecht nennen.“ —
Man kann sich denken, daß Herr A. nach solcher Einleitung auf’s äußerste gespannt ist.
„Ja, ich weiß immer noch nicht, ob ich’s Ihnen anvertrauen darf; es ist gar zu merkwürdig. Indeß Sie sind ein verschwiegener Mann.“ —
Der Kern der Erzählung ist nun folgender: Er, der Geheimnißvolle, habe von einem Bekannten gehört, der es wieder von einem Bekannten vernommen, daß einer der Bekannten des Letztern neulich Abend in einem Manne, der um die Ecke einer nicht im besten Rufe stehenden Gasse gebogen sei, den als so solid verschrieenen Rath B. zu erkennen geglaubt habe. Leider sei es zu finster gewesen, um diese wichtige Entdeckung weiter zu verfolgen. Was den Verdacht noch vermehre, sei der Umstand, daß sich jener Mann, der ungefähr die Gestalt des Raths B. gehabt, als er den Bekannten des Bekannten des Geheimnißvollen ansichtig geworden, noch dichter in den Mantel gehüllt und die Mütze noch tiefer als vorher in die Stirn gedrückt habe.
Bald darauf sucht sich der Geheimnißvolle dem Hofrath B. zu nähern.
„Unter vier Augen, Herr Hofrath“ beginnt er — „es ist wohl meine Pflicht Ihnen Etwas mitzutheilen — und doch muß ich Anstand nehmen; es ist zu merkwürdig; man hätte es nicht denken sollen; wenn Sie mir jedoch Ihre vollkommene Verschwiegenheit zusichern wollen.“ —
Der Hofrath äußert: Verschwiegenheit sei eine seiner anerkanntesten Tugenden; es bedürfe wohl nicht erst seiner ausdrücklichen Versicherung.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/7&oldid=- (Version vom 8.11.2020)