Auf dem Wendepunkte des Lebens brütet die Sonne des Hochsommers oder des nahenden Herbstes hie und da noch ein Gefühl der Liebessehnsucht in uns aus. Wir öffnen dann unsere Arme; aber Niemand fällt hinein, und uns überkommt das schmerzliche Bewußtseyn der Engbrüstigkeit und Lieblosigkeit des Adamsgeschlechtes. Was Wunder, wenn sich nun die galvanische Batterie nach andern Richtungen hin entleert; wenn wir dann unsere Neigung da in den Kauf geben, wo uns Gegenneigung erwartet!
Wer könnte die anschmiegende Zärtlichkeit eines Mopses unerwiedert lassen, wie wir dergleichen auf unserm Bildchen sehen? Die geliebkoste Herrin ist Eine von den Vielen an jenem Punkte des Lebens, von denen oben die Sprache war. Ihre Leidenschaft hat sich nun nach mancher bitteren Erfahrung und Zurechtweisung lediglich auf einige Varietäten des canis domesticus Linn. concentrirt, die wir unter dem Namen Spitze und Möpse kennen. Sie spart sich die Leckerbissen vom Munde ab, um sie den geliebten Creaturen vorzusetzen. Sie hat arme Verwandte, aber – obwohl selbst zeitlich gesegnet – vermag sie doch nichts für dieselben zu thun, weil heute Melina eines neuen Halsbandes bedarf, und morgen Mazeppa eines neuen Pelzes zum Winterhöslein. Der Bettlerin, die flehend an der Thüre harrt, gibt sie nichts – aus Grundsatz. Aber sie ist dennoch äußerst fromm, geht täglich in die Kirche, und schickt regelmäßig die Ueberbleibsel der Mahlzeit ihrer Lieblinge in das benachbarte Spital. Während sie die kleinsten Fehler der Nebenmenschen unerbittlich verdammt, setzt sie den zahllosen Unarten ihrer Favoriten eine unerschütterliche Mutterzärtlichkeit entgegen. – Ihre erste Liebe war Adonis. Er starb einen anakreontischen Tod, denn er erstickte an einer Wildpretpastete. Als er das Zeitliche gesegnet, ließ sie die edle Hülle – mit Häckerling gefüllt – auf ein zierliches Monument setzen, das sie noch täglich mit ihren Thränen bewässert!
Er lebt vom Prozessiren. Aber er prozessirt nicht blos, um leben zu können, sondern aus Leidenschaft. Wo er von einem Prozesse erfährt, der das Kainszeichen der Unsterblichkeit an der Stirne trägt, weiß er auf irgend eine Weise Partei zu nehmen, und – wehe alsdann dem Gegenparte! Chicanen aller Art, Contumazen, Terminsverlängerungen treiben diesen zur Verzweiflung, oder zu einem für den Prozeßkrämer günstigen Vergleich. – Er kauft unbezahlte Kontos, Schuldverschreibungen, halbgiltige Contrakte, und über kurz – so beginnt ein neuer Prozeß den Kreuzweg durch alle Instanzen. Bei jeder Gantverhandlung ist er betheiligt. In den Gerichtsstuben und Botenzimmern kennt er jeden Winkel; Aktuare, Schreiber und Frohnboten sind seine intimsten Freunde, seine Zubringer und Kuppler. Er denkt nur an Prozesse, spricht nur von Prozessen, und träumt nur von solchen. Hier liegt er – auf aufgehäuften Aktenstößen – und genießt eines solchen Traumes! Aber er ist nicht angenehm. Er sieht seine schönste Streitsache nur noch an einem Faden hängen, – ein boshafter Teufel ist daran, diesen Faden entzwei zu schneiden. Daher der schmerzlich beklommene Zug an den Mundwinkeln, der jedoch auch vom Aktenstaubschlucken herrühren könnte! –
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/99&oldid=- (Version vom 20.11.2016)