Wege war, sich zu halten. Der Gläubiger trat dicht zum Dicken heran, und sagte zu dem Notar und den Bewaffneten: Führt den Matteo hier weg, er ist mein Schuldner. Zum Dicken aber: Siehst du wohl, ich bin dir so lange auf den Fersen gefolgt, bis ich dich doch erwischt habe. Die Gerichtsdiener und der Notar nahmen den Beklagten fest und schickten sich an, ihn hinwegzuführen. Der Dicke aber sagte zu dem, der ihn greifen ließ: Was habe ich mit dir zu schaffen, der du Gewalt gegen mich brauchst? Heiß den Leuten mich loslassen: Du nimmst mich für einen Andern, ich bin nicht der, für den du mich halten magst, und du begehst schweres Unrecht, daß du mir solche Schande anthuest. Ich habe nichts mit dir gemein. Ich bin der dicke Tischler und nicht der Matteo, und weiß nicht, was für ein Matteo ich seyn soll. Hiermit wollte er anfangen, sich zu widersetzen, da er sehr stark und kräftig war; die Häscher fielen ihm aber rasch in die Arme und hielten ihn. Der Gläubiger trat vor ihm hin, sah ihm scharf in's Auge und sagte: Wie! du hättest nichts mit mir zu thun? So, so, und ich sollte den Matteo, meinen Schuldner, nicht kennen, und nicht wissen, wie der dicke Tischler aussieht? Du stehst in meinem Schuldbuche, und ich habe Urtheil gegen dich schon ein Jahr lang, trotz deiner Schliche, bei mir. Du thust wohl daran, schlechter Mensch, zu sagen, daß du nicht der Matteo seist. Aber ich will dich schon lehren, daß es besser ist, du bezahlst mich, als daß du dich zu einen Andern machst. Führt ihn immer fort: wir wollen sehen, ob er es wirklich ist. Unter heftigem Gezänk ward der Dicke auf das Handelsgericht geführt. Und weil es fast schon Zeit des Abendessens war, so trafen sie weder unterwegs noch an Ort und Stelle Jemand an, der ihn kannte.
Im Gerichtshause schrieb der Notar scheinbar einen Verhaftsbefehl auf des Matteo Namen ein. Der Dicke ward in's Gefängniß gebracht, und wie er hineintrat, drängten sich die anderen Gefangenen, die den Lärm bei seiner Ankunft vernommen hatten, und ihn öfter Matteo nennen hörten, ohne ihn zu kennen, um ihn herum, und riefen ihm zu: „Guten Abend, Matteo, was gibt's denn mit dir?“ Der von dem einen wie von dem anderen Matteo genannte Dicke meinte also ziemlich gewiß Matteo zu seyn, und erwiederte die Begrüßung ganz verwirrt: Ich bin da einem, der mich hat setzen lassen, eine Summe Geld schuldig; aber morgen bei guter Zeit komme ich los. Die Gefangenen entgegneten: Du siehst, wir sind eben beim Abendbrode; iß mit uns, du kannst deßwegen morgen früh immer wieder gehen. Bedenke aber wohl, daß man hier jedesmal länger bleibt als man bleiben will. Der Dicke speiste mit den Gefangenen, und nach der Mahlzeit räumte ihm einer den schmalen Rand seines Lagers ein, indem er sagte: Matteo, richte dich für heute Nacht ein, so gut du kannst. Kommst du morgen früh los, so ist es gut für dich, wo nicht, so bringt man dir wohl aus deinem Hause ein Bett hieher. Der Dicke dankte und legte sich nieder, um zu schlafen, während in seinem Kopfe folgende Gedanken aufstiegen: Was will ich machen, wenn ich einmal aus dem Dicken der Matteo geworden bin? Und das kommt mir jetzt ziemlich ausgemacht vor, nach allen den Beweisen, die ich habe. Schicke ich nach Hause zu meiner Mutter, und der Dicke ist da, so machen sie sich lustig über mich und werden sagen, daß ich verrückt geworden sei. Und auf der andern Seite dünkt es mir doch immer noch, daß ich der Dicke bin. Unter solchem Selbstgespräche,[WS 1] bald seiner Sache gewiß, daß er Matteo, bald wieder der Dicke sei, blieb er bis Morgens wach, ohne ein Auge zuzuthun. Und als er in der Frühe aufgestanden war, und an dem kleinen Fensterchen des Gefängnisses stand, in der Erwartung, von da irgend eines vorübergehenden Menschen habhaft zu werden, der ihn kenne, kam ein junger Mann Namens Giovanni di Messer Francesco Rucellai auf das Handelsgericht, der auch zu der Gesellschaft gehörte, und an der Abendmahlzeit, so wie an der spaßhaften Verschwörung Theil genommen hatte. Er war ein genauer Bekannter des Dicken, der eben den Rahmen zu einem Madonnenbilde für ihn fertigte, und brachte noch vorigen Tages, um ihn anzutreiben, eine lange Weile in seiner Werkstatt zu, bis der Dicke versprochen hatte, ihm die Schilderei in vier Tagen fertig zu liefern. Wie nun Giovanni in das Gerichtshaus getreten war, steckte der Dicke seinen Kopf durch das Gitterfenster des Kerkers, der sich zur ebenen Erde befand, in die Flur, und sah und lächelte ihn freundlich an. Giovanni sah ihn wieder an, als hätte er ihn noch niemals gesehen, und sprach: „Was lachst du guter Freund?“ Der Dicke, dem es vorkam, er werde von jenem nicht erkannt, antwortete: „O! ich lache über weiter nichts; sagt mir, kennt ihr nicht Einen, den man den Dicken nennt, der gleich dort hinten am San
- ↑ Im Original: „Selbstgegespräche“.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/55&oldid=- (Version vom 1.8.2016)