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Seite:Fliegende Blätter 1.djvu/138

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Die Propheten.
Schluß.


     2. Der Wetterprophet. Wir haben es hier mit keinem gewöhnlichen Wetterpropheten zu thun, der den Kalender zu Rathe zieht und auf die ordinären Wetteranzeichen merkt, in die jeder Bauer und jedes Kind eingeweiht sind. Wenn die Wolken weiße lange Streifen am Himmel bilden, so bekommen wir Wind, wenn die Sonne blutroth hinter Wolken untergeht, so gibt es morgen einen regnerischen Tag, wenn das Feuer spuckt oder wenn die Hühneraugen schmerzen, so ändert sich das Wetter und dergleichen – nein! mit solchen Bauernregeln hat es unser Wetterprophet nicht zu thun. Er hat vielmehr seine Vorhersagungen in ein wissenschaftliches System gebracht, er spekulirt in’s Große, in die fernsten Zeiten, er sagt auf Jahre das Wetter voraus, ja, wie der bekanntermaßen nie trügende hundertjährige Kalender, auf Säcula.

Hat er einmal einen schönen Tag angekündigt und der rebellische Tag straft ihn durch Regengüsse Lügen, so regnet es doch für ihn nicht; er behält Recht, und er beweist dies dadurch, daß er ohne Regenschirm eine Landparthie macht, bis auf die Haut durchnäßt nach Hause kommt, und gegen seine ihn auszankende Frau keck und geringschätzig behauptet: „Das soll Regen sein! es tröpfelt ja nur; ja wenn ihr gewöhnlichen Leute so ein Tröpfeln Regen nennt, dann regnet es alle Tage.“ –

Was hilft es, daß seine Frau die ganz durchnäßten Kleider vor ihm ausringt und auswindet? Er bleibt auf seinem Satze stehen: es seien nur einzelne Tropfen gefallen und der ganze Spaß nicht der Rede werth. –

Für das Jahr 1844 sagte er einen empfindlich kalten April voraus, aber die Aprilsonne brannte wie im Hochsommer. Unser Wetterprophet ließ sich keineswegs schrecken. Man sah ihn täglich Mittags die Ludwigsstraße entlang gehen, wie ein Grönländer tief in den Mantel gehüllt, eine Pelzmütze mit Ohrlappen auf dem Kopfe, Ueberschuhe an den Füßen, Pelzhandschuhe an den Fäusten. Der Schweiß rann ihm von der Stirne. Dennoch klagte er gegen alle Bekannte, die ihm zufällig begegneten, über die für den Aprilmonat ganz unnatürliche empfindliche Kälte, und schüttelte sich vor Frost. –

„Aber wie können Sie es nur in dieser entsetzlichen Hitze aushalten?“ fragte ihn ein Bekannter. „Sie sind über und über Pelz wie ein Eisbär, und uns übrigen gescheidten Leuten ist es noch im Frack und in Sommerbeinkleidern zu warm.“

„Weil Sie eine Verschwörung gegen mich angestiftet haben, und weil Sie mich verspotten wollen,“ antwortete der erzürnte Wetterprophet. „Man sieht es Ihnen an, wie sehr Sie in Ihren Sommerhosen frieren. Lassen Sie das dumme Zeug sein und verwahren Sie sich besser, sonst ziehen Sie sich noch eine Krankheit auf den Hals! Seit Jahren haben wir im April nicht einen so empfindlich kalten, schneidenden Ostwind gehabt wie heuer.“ Am meisten hatten hierbei seine Frau und seine Kinder zu leiden: da er zu Hause wie bei einer Kälte von 20° einheizen ließ und in allen Zimmern eine schwebende Hitze unterhielt. Die Fenster wurden von Neuem mit Moos verstopft, der Bettwärmer wieder hervorgeholt, kurz eine Menge Anstalten getroffen, um die Sommerhitze des Aprils Lügen zu strafen.



Umgekehrt hatte er für das Jahr 1845 einen äußerst milden, frühlinghaften Februar, einen maiähnlichen, mit Veilchenduft, Lerchengesang und Baumblüthe überreich gesegneten März prophezeit. Wir erinnern uns noch alle an die kamschadalische Wuth, womit der Februar und März vom Jahr 1845 gegen Mensch und Vieh aufgetreten sind. Die Hasen erfroren im Felde, und, wenn wir uns gestatten dürfen, es auszusprechen, die zartgliedrigen Flöhe im Bette. Die Sonne schüttelte sich, der Mond klapperte vor Frost und die Sterne

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/138&oldid=- (Version vom 17.1.2018)