wird, ob der verlangte Candidat umgänglich oder liebenswürdig sei. Mit dieser Frage wird verschiedenes gemeint. Bei einem jungen Manne ist sie gewöhnlich gleichbedeutend mit der Frage, ob er Geld habe, und sie entspricht somit der in gewissen Gegenden Deutschlands üblichen Auskunft über „das Gemüth“. In anderen Fällen bedeutet die Frage nach der Liebenswürdigkeit, ob der Berufene geneigt sei, sich der herrschenden Clique anzuschliessen, d. h. ob er möglichst abhängig und unselbständig sei. Nun versuchen uns einige süddeutsche Professoren einzureden, dass es die Dürftigkeit der einzelnen Ordinariatsgehälter sei, welche die Fakultäten zwinge, bei Berufungen auch auf das Vermögen zu sehen. Aber wer wird ihnen diese Ausflucht glauben? Wo kommen jene von ihnen namhaft gemachten Ordinariatsgehälter von 1800–2700 M. noch vor? Vielleicht in Heidelberg, Freiburg und in Jena. Wo aber ist jene Erscheinung des Capitalismus in der Gelehrtenwelt am häufigsten beobachtet worden? In ganz anderen Universitäten, in welchen vor Zeiten die Professoren, damit sie bessere Einnahmen hatten, das Monopol des Weinausschanks besassen. Man wird daher nicht in Abrede stellen können, dass die Gründe für die Bevorzugung vermögender Lehrer bei Berufungen ganz andere sind. Man sieht heute mehr auf die sociale Stellung des einzelnen, als auf die wissenschaftliche, und da die erstere, besonders in kleineren Städten, fast ausschliesslich
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/251&oldid=- (Version vom 17.8.2016)