Schulen aus. Die eine Schule will deutsch schreiben, die andre lateinisch, die eine legt das grösste Gewicht auf die formelle Darstellung, die andre ein weit geringeres, die eine hält überhaupt die Darstellung für die Hauptsache, die andre mehr die Verwerthung des Materials und die Quellenanalyse, die eine empfiehlt mehr die Production, die andere die receptive Thätigkeit. Die einen wollen das gesammte Material in Anmerkungen unter oder hinter den Text angeführt haben, die andern wollen es mehr im Text verarbeitet haben. Eine der bedeutsamsten Schuldifferenzen in der Philologie, welche zur Kenntniss des grossen Publikums gekommen sind, ist bekanntlich „die homerische Frage“ und im Anschluss daran „die Nibelungenfrage“, wo die Lachmann’sche oder Berliner Schule in beiden Fällen die Liedertheorie aufgestellt und unter allen Wandelungen und Kämpfen aufrecht erhalten hat. Diese Frage hat eine grosse und heute kaum noch zu bewältigende Literatur im Gefolge gehabt. Die wenigsten Punkte aber, welche Schulen zu trennen pflegen, haben auch nur annähernd eine ähnliche Bedeutung, wie jene für die Entstehung des Volksepos so wichtige, wenn sie auch in keiner Weise und zu keiner Zeit lösbar werden wird, wie jeder Unbefangene einsehen muss. Dennoch ist der Kampf auf allen Seiten zeitweise mit Erbitterung geführt worden, und es ist eine der traurigsten Erscheinungen in der Geschichte des menschlichen Geisteslebens, dass niemals schärfer,
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/077&oldid=- (Version vom 17.8.2016)