diejenige Schule zu bezeichnen, welcher dieser Modus des Vortrags als besondere Eigenthümlichkeit nachgerühmt wird. Noch andere Lehrer – besonders Juristen in Süddeutschland – pflegen überhaupt die ganze Vorlesung oder den grössten Theil derselben ganz wörtlich zu dictiren, (wiewohl dies allmählich in Abnahme kommt), so dass es lohnt, das Thema einmal zu behandeln, welchen Zweck der akademische Vortrag verfolge und welcher Modus dabei den Vorzug verdiene.
Zunächst darf wohl die Frage aufgestellt werden, ob der akademische Vortrag den Zweck haben sollte, das gesammte Quellenmaterial einer Disciplin mitzutheilen. Diese Frage muss entschieden verneint werden. Erstens ist der Vortrag keines Professors so eingerichtet, dass bei dem in den letzten Jahren so enorm angewachsenen Material alles verwerthet worden ist, oder verwerthet werden kann, so dass auch die Studenten für ihr Wissen schwerlich alles Material zu verwerthen brauchen. Der Professor arbeitet nach seiner individuellen Auswahl des Materials, die auch dem Studenten genügen muss. Zweitens giebt es heute fast in allen Wissenschaften Hand- und Hülfsbücher, die das ganze Material aufzählen, so dass man auf sie nur zu verweisen braucht. Drittens ist die Vorlesung nicht für künftige Gelehrte und Akademiker bestimmt, welche für irgend eine wissenschaftliche Arbeit jenes Quellenmaterial benutzen könnten, sondern für praktische Beamte, denn
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/011&oldid=- (Version vom 18.8.2016)