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Seite:Ficker Vom Reichsfürstenstande 035.jpg

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ohne Beeinträchtigung des eigenen und des fremden Wesens gerecht zu werden; aber eben jener Trieb liess ihm auch wieder die begränztesten als die wichtigsten erscheinen, zu welchen er gern sich zurückwandte, wenn ihn die umfassenderen abgezogen hatten, denen er über das Mass des Nothwendigen hinaus die Betreibung jener nicht opfern mochte. Weder an dem weitstrebenden Sinne, noch an der Befähigung hätte es manchem unserer Herrscher gemangelt, um es den grössten Eroberern aller Zeiten gleich zu thun; aber unübersteigliche Hindernisse bot ihm die Abneigung der Nation und die dem Wesen derselben entsprechende, weil mit dem Reiche erwachsene Verfassung in ihrer vielfachen Gliederung, welche ein Zusammenfassen der gewaltigen Kräfte des Ganzen nur für die unabweislichsten Gesammtzwecke gestattete, wohl ausreichte, am Bestand und Ansehen der Krone und des Reichs nach innen und aussen zu schirmen, aber es dem Herrscher nicht ermöglichte, jene Kräfte für die Befriedigung eigener Herrschsucht, weitgreifender Plane im Sinne der Imperatoren in Bewegung zu setzen und auszubeuten. Was könnte dafür bezeichnender sein, als die Satzung, welche jeden zum Römerzuge verpflichtete, aber eben so bestimmt am Tage der Krönung die Verpflichtung enden liess? Wo anders, als in der masshaltenden Besonnenheit der Nation, wäre die Erklärung dafür zu suchen, dass in den Jahrhunderten deutscher Uebermacht und französischer Ohnmacht die Gränze des Machtgebietes beider Nationen fest und unverrückt blieb, sie erst dann sich änderte, als das Reich der leidende Theil war? Nur nach einer Seite hin trat die Nation als solche erobernd auf, machte ein stätiger Trieb zur Ausdehnung der Gränzen sich geltend; aber auch dort im Osten war nicht die Lust am Erobern, am Schaugepränge der Herrschaft wirksam, weniger das Bewusstsein der materiellen, als das der intellektuellen Ueberlegenheit, das Bedürfniss, den überschiessenden Kräften der Nation neue Gebiete der Thätigkeit zu eröffnen, fremde Stämme, bedrohlich zwar nicht für das Reich, aber für die Sicherheit seiner Gränzen, dem Kreise der eigenen Aufgaben zuzuführen, mit sich zu verschmelzen; nur da schritt man zur Eroberung, wo eine folgende Kolonisation sie lohnen konnte.

Ist das Kaiserreich gefallen trotz aller Bürgschaften, welche seinen Bestand zu schirmen schienen, so war es nicht, weil es den Keim des Zerfalles nothwendig in sich getragen hätte, weil die Anschauungen, welche ihm bewusst oder unbewusst zu Grunde lagen, unberechtigte gewesen wären. Es ist gefallen, weil diese Anschauungen verlassen wurden; verlassen von den Herrschern, welche die Begrenzung ihres Gewaltkreises, wie sie die ganze Lage der Verhältnisse vorzuzeichnen schien, zu überschreiten, sich in ihrem einer einseitigen Ausbeutung zu Gewaltzwecken zugänglichen sizilischen Erbreiche dafür eine Stütze zu schaffen suchten, wie sie ihnen die Deutschen nur bei selbstbeherrschender Anerkennung einer Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten

zu gewähren gewillt waren; verlassen von der Kirche, welche durch

Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_035.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)