Ist es denn möglich? so neu noch dieser Schmerz, so unvergessen noch dieser Verlust?
Wieder trat eine lange Pause ein, auch Paul war still geworden. Die Lampen, die lange außer Gebrauch gestanden, verbreiteten ein schwaches Licht in dem großen Raume; ihr trüber Schimmer beleuchtete die Gesichter der beiden Alten mit fahlem Scheine. Müdigkeit sprach aus ihren verwitterten Zügen – Lebensmüdigkeit, eine tiefe Sehnsucht nach der Ruhe, die auf Erden nicht zu finden ist. Die lang ersehnte Freude des Wiedersehens mit dem einzig geliebten Sohne, nun war sie erlebt und hatte die glückentwöhnten Menschen tödtlich erschöpft. Da haben sie ihn nun, der ihr Abgott, ihr Ein und Alles ist; nichts fehlt zu ihrer Seligkeit als – die Kraft, sie zu genießen.
Eine traurige Veränderung ist mit ihnen vorgegangen. Sie so gebrochen zu finden, hatte er nicht erwartet.
Pauls Gedanken wanderten nach dem traulichen, duftenden, hellerleuchteten Salon der Gräfin Marianne. Der Thee dampfte in chinesischen Tassen, das englische Silbergeschirr blinkte, französische Confitüren standen in zierlichen Schalen auf dem geschmackvoll gedeckten Tische. Lautlos schritten die Lakaien ab und zu, der Kammerdiener glitt servierend umher, unhörbar und emsig, lächelnde Dienstfertigkeit in jeder Miene. Die Damen plauderten, Fürst Clemens hörte ihnen zu, stimmte bei, bewunderte, betete an, Gräfin Erlach kicherte und scherzte
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/380&oldid=- (Version vom 31.7.2018)