Wöhlers: Nun jaaa – Wenn die Herren Arbeiter – selbst in meinem Hause – eine solche Rückenstärkung finden – dann ist es freilich nicht zu verwundern, daß sie immer unverschämter werden und den Streikunfug auf die Spitze treiben. Dann ist es nicht zu verwundern! Aber ich wollte den Herren schon streiken helfen! Den Stock sollte man gebrauchen, hauptsächlich gegen diese elenden Verführer der Arbeitermassen.
Wolfgang (macht eine unwillige Bewegung).
Wöhlers: Diese verbummelten Agitatoren, die von den Groschen der Dummen ein Faulenzerleben führen: die sind an allem schuld. – Freilich haben die Arbeitgeber auch vielfach selbst schuld, weil sie nicht energisch genug sind. Mir sind sie auch gekommen, meine Leute. Höhere Löhne wollten sie haben, weniger arbeiten wollten sie. Was? sagt’ ich: „Mit dem heutigen Tage kündige ich meinen sämtlichen Arbeitern.“ Da lagen sie draußen. Nach 8 Wochen legten sie Hände und Füße zusammen und nahmen die Arbeit wieder auf, aber zu herabgesetzten Löhnen. Ein zweites Mal werden sie sich hüten.
Wolfgang: Nennst Du das nun menschenfreundlich, Papa?
Wöhlers: (herumfahrend) Menschenfreundlich, – wie so! Willst Du meine Handlungen kritisieren?
Wolfgang: Deine ausführliche Darlegung schien ein Urteil herauszufordern.
Wöhlers: Danke verbindlichst. Aber du irrst dich. Ich brauche keinen Schulmeister mehr.
Wolfgang (wendet sich verletzt ab.)
Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/24&oldid=- (Version vom 31.7.2018)