sonnenklare Charakter – vernichtet, gebrochen –, gebrochen um meinetwillen, die ihn im schwersten Augenblicke so erbärmlich verlassen hat!
Scharff: Aber Ihre Eltern werden die Sache ja so ernst nicht nehmen –
Magdalene: Meinen Sie? Und wenn sie sie nicht ernst nehmen, er nimmt sie um so ernster, das können Sie mir glauben. Ich wollte ihn abhalten, die Trauung vollziehen zu lassen – und was antwortet er?
Scharff: Nun?
Magdalene: „Wir dürfen den Kaufkontrakt nicht brechen“. Und unmittelbar nach der feierlichen Einsegnung sandte er – eingeschrieben! – das kirchliche Attest hierher. – Jetzt, Herr Doktor, stehen wir unter dem Segen Gottes – und unter dem Fluch der Lüge. (Plötzlich auflachend) Haha! Als wir zurückkamen, führte man uns in dieses Haus, das meine Eltern uns ausgestattet haben. Mein Vater – er ist übrigens jetzt Kommerzienrat – erklärte mir, er könne es um seinetwillen nicht dulden, daß wir in unsere ärmliche Wohnung zurückkehrten. (In Thränen ausbrechend): Mein Wolfgang, mein armer, armer Wolfgang!
Scharff: Meine teuerste, liebste Frau Behring – Sie dürfen sich nicht aufregen –
Magdalene: Noch keine ruhige Minute hat er in diesem Hause gehabt. Eine entsetzliche Unruhe scheint ihn zu martern – erst heute morgen schien er plötzlich gefaßt, – er hat die ganze Nacht nicht geschlafen –
Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/105&oldid=- (Version vom 14.6.2022)