betrachten mag ich dich fürs erste nicht mehr. – Warum sollt’ ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde drücken? (setzt es bey Seite) – Geschmachtet, geseufzet hab’ ich lange genug, – länger als ich gesollt hätte: aber nichts gethan! und über die zärtliche Unthätigkeit bey einem Haar’ alles verloren! – Und wenn nun doch alles verloren wäre? Wenn Marinelli nichts ausrichtete? – Warum will ich mich auch auf ihn allein verlassen? Es fällt mir ein, – um diese Stunde, (nach der Uhr sehend) um diese nemliche Stunde pflegt das fromme Mädchen alle Morgen bey den Dominikanern die Messe zu hören. – Wie wenn ich sie da zu sprechen suchte? – Doch heute, heut’ an ihrem Hochzeittage, – heute werden ihr andere Dinge am Herzen liegen, als die Messe. – Indeß, wer weiß? – Es ist ein Gang. – (er klingelt, und indem er einige von den Papieren auf dem Tische hastig zusammen rafft, tritt der Kammerdiener herein) Laßt vorfahren! – Ist noch keiner von den Räthen da?
Der Kammerd. Camillo Rota.
Der Prinz. Er soll herein kommen. (der Kammerdiener geht ab) Nur aufhalten muß er mich nicht
Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti. Christian Friedrich Voß, Berlin 1772, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Emilia_Galotti_(Lessing_1772).djvu/29&oldid=- (Version vom 31.7.2018)