Ein Zufall wär’ es, daß der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu sprechen, und mich doch hier sprechen muß? Ein Zufall? – Glauben Sie mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der Sonne ist Zufall; – am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die Augen leuchtet. – Allmächtige, allgütige Vorsicht, vergieb mir, daß ich mit diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist! – (hastig gegen Marinelli) Kommen Sie mir, und verleiten Sie mich noch einmal zu so einem Frevel!
Marinelli. (vor sich) Das geht weit! – Aber gnädige Gräfinn –
Orsina. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Ueberlegung: – und mein Kopf! mein Kopf! (sich mit der Hand die Stirne haltend) – Machen Sie, Marinelli, machen Sie, daß ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst bin ich es wohl gar nicht im Stande. – Sie sehen, wir sollen uns sprechen; wir müssen uns sprechen –
Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti. Christian Friedrich Voß, Berlin 1772, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Emilia_Galotti_(Lessing_1772).djvu/107&oldid=- (Version vom 31.7.2018)