Walther Kabel: Eine aufregende Fahrt. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 5, S. 215–220 | |
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klemmte auch meine Holzstange zwischen den Felsen fest und lehnte mich gegendrückend an sie an. Unser Boot stand still. Nun befestigte ich hastig an dem mittelsten Sitzbrett einen der mitgenommenen Stricke und schlang ihn um Tschi-fons Stange. Der arme Bursche hatte währenddessen dem ganzen Druck der Strömung Widerstand zu leisten. Aber er hielt sich wacker. Jetzt ließ er auf meinen Befehl die Stange langsam nachgebend los. Ob die Sitzbank halten würde? Mir klopfte das Herz bis zum Halse. Sie hielt. Wir waren vorläufig geborgen.
Die Reservefackeln wurden angezündet. Dann untersuchte ich mit meiner Stange die Tiefe des Wassers. Sie betrug etwa ein Meter. Wir hielten Rat. Ich wollte in dem Flußbett zu Fuß vordringen, um zu sehen, ob wir dem Wasserfall nicht doch auf irgend eine Weise ausweichen könnten. Denn eine Umkehr war jetzt völlig unmöglich. Meine Uhr zeigte halb zwölf, und nach meiner Schätzung mußten wir die Hälfte des unterirdischen Stromlaufes bereits hinter uns haben. Kurz entschlossen sprang ich in das kalte Wasser, das mir bis zum Gürtel reichte, und watete, die Holzstange als Stütze benützend, vorwärts. In der linken Hand trug ich eine brennende Fackel und tastete mich so Schritt für Schritt weiter.
Die Einzelheiten dieses Marsches will ich übergehen. Er war das Anstrengendste und Aufregendste, was ich je erlebt habe. Nachdem ich etwa eine Viertelstunde lang vorgedrungen war, öffneten sich die Felswände zu einer runden, großen Höhle, die mindestens achtzig Meter im Durchmesser haben mußte. Hier war die Strömung weniger stark, und das Wasser ging mir kaum bis zu den Knien. Mein Herz belebte sich mit neuer Hoffnung, obwohl das Getöse der abstürzenden Wassermassen mich fast betäubte. Ich stellte fest, daß die Wasser des Kung-ho etwa drei Meter tief über Felsen hinwegstürmten. Immerhin war der Abhang nicht so steil, daß wir ihn nicht kletternd hätten hinabsteigen können.
Ich kehrte um. Auf dem halben Wege verlosch meine Fackel. Sie war völlig niedergebrannt. In schwarzer Finsternis tappte ich weiter. Endlich, endlich sah ich vor mir roten Lichtschein aufleuchten. Tschi-fons Gesicht strahlte, als ich
Walther Kabel: Eine aufregende Fahrt. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 5, S. 215–220. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_aufregende_Fahrt.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)